Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
Vom Netzwerk:
Kästen und einen Teil des Bettes aus. Das Mobiliar besteht aus zwei Nachtkästen mit je zwei Laden und goldenen Messinggriffen, zwei Kommoden, eine schmale hohe mit ... (abgebrochen.)
     
    Goldene Messinggriffe, poliert von der perfekten Hausfrau, die nach den Kochrezepten seiner noch perfekteren Mutter das Essen auf den Tisch bringt. Wenn ich alles richtig machte und mich an meine Laufwege zwischen den Kulissen hielt, funktionierte die Illusion für einen Moment. Aber jede Abweichung von diesem Drehbuch, das mir keiner vorher zum Lesen gegeben hatte, wurde drakonisch bestraft. Seine Unberechenbarkeit wurde zu meinem größten Feind. Selbst wenn ich überzeugt war, alles gut gemacht zu haben, selbst wenn ich zu wissen glaubte, welche Requisite in einem Moment gebraucht wurde, war ich nicht vor ihm sicher. Ein Blick, zu lange auf ihn gerichtet, ein Teller auf dem Tisch, der gestern noch der richtige gewesen war, schon rastete er aus. Etwas später heißt es in meinen Notizen:
     
    Brutale Fausthiebe auf den Kopf die rechte Schulter, den Bauch, den Rücken und das Gesicht sowie aufs Ohr und aufs Auge. Unkontrollierte, unberechenbare urplötzliche Wutanfälle. Anschreien, Beleidigungen. Stoßen beim Stufensteigen. Würgen, sich auf mich setzen und den Mund und die Nase zuhalten, ersticken. Auf meine Armgelenke setzen, auf meinen Armknöcheln knien, meine Arme mit den Fäusten abwürgen. An den Unterarmen habe ich fingerförmige Blutergüsse und eine Kratz- und Schürfwunde am linken Unterarm. Er setzte sich auf meinen Kopf oder schlug, auf meinem Rumpf kniend, meinen Kopf mit voller Wucht auf den Boden. Dies mehrmals und mit aller Kraft, so dass ich Kopfweh und Übelkeit verspürte. Dann unkontrollierter Fausthiebregen, mit Gegenständen werfen und brutal gegen das Nachtkasterl schlagen. (...)
     
    Das Nachtkasterl mit den Messinggriffen.
    Dann wieder gestattete er mir Dinge, die mir die Illusion vermittelten, es ginge um mich. Er erlaubte mir zum Beispiel, die Haare wieder wachsen zu lassen. Aber auch das war nur Teil der Inszenierung. Denn ich musste sie wasserstoffblond färben, um seinem Idealbild von einer Frau zu entsprechen: folgsam, arbeitsam, blond.
    Ich verbrachte immer mehr Zeit oben im Haus, verwendete Stunden darauf, Staub zu wischen, aufzuräumen und zu kochen. Nach wie vor ließ er mich keine Sekunde allein. Sein Wunsch, mich völlig zu kontrollieren, ging so weit, dass er selbst die Klotüren im Haus aushängte: Nicht einmal für zwei Minuten sollte ich mich seinem Blick entziehen können. Seine dauernde Anwesenheit trieb mich zur Verzweiflung.
    Aber auch er war ein Gefangener seines eigenen Drehbuchs. Wenn er mich ins Verlies sperrte, musste er mich versorgen. Wenn er mich ins Haus holte, war er jede Minute damit beschäftigt, mich zu kontrollieren. Die Mittel waren immer die gleichen. Doch der Druck auf ihn wurde stärker. Was, wenn auch hundert Schläge nicht mehr ausreichten, mich am Boden zu halten? Dann würde er auch in seinem Pleasantville scheitern. Und es gäbe kein Zurück mehr.
     
    * *  *
     
    Priklopil war dieses Risiko bewusst. Deshalb tat er alles dafür, mir vor Augen zu führen, was mir drohte, sollte ich es wagen, seine Welt zu verlassen. Ich erinnere mich an eine Szene, in der er mich so demütigte, dass ich fluchtartig ins Haus zurückstürzte.
    Eines Nachmittags arbeitete ich oben und bat ihn, ein Fenster zu öffnen - ich wollte einfach ein bisschen mehr Luft, eine Ahnung vom Vögelgezwitscher draußen. Der Täter fuhr mich an: »Das willst du doch nur, weil du schreien und weglaufen willst.«
    Ich beschwor ihn, mir zu glauben, dass ich nicht fliehen würde: »Ich bleibe, ich verspreche es. Ich werde niemals weglaufen.«
    Er blickte mich zweifelnd an, dann packte er mich am Oberarm und schleppte mich zur Haustür. Es war helllichter Tag, die Straße war menschenleer, trotzdem war sein Manöver riskant. Er öffnete die Tür und schubste mich hinaus, ohne den festen Griff an meinem Arm zu lockern. »Jetzt lauf doch! Geh nur! Schau doch, wie weit du kommst, so wie du aussiehst!«
    Ich war starr vor Schreck und Scham. Ich hatte kaum etwas an und versuchte, mit meiner freien Hand notdürftig meinen Körper zu bedecken. Die Scham darüber, dass mich ein Fremder in meiner ganzen Magerkeit, mit all den Blutergüssen und den kurzen Stoppelhaaren auf dem Kopf sehen könnte, war größer als die leise Hoffnung, dass jemand diese Szene beobachten und sich darüber wundern könnte.
    Er hat das

Weitere Kostenlose Bücher