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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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freundlich mit »Grüß Gott!« ansprach, zuckte ich zusammen. Es war das erste Wort, das ein Fremder seit über sieben Jahren an mich gerichtet hatte. Das letzte Mal, als ich mit jemand anderem als mit mir selbst oder dem Täter gesprochen hatte, war ich noch ein kleines, pummeliges Kind gewesen. Nun grüßte mich die Kassiererin wie eine echte, erwachsene Kundin. Sie sprach mich mit »Sie« an und lächelte, während ich stumm die beiden Artikel auf das Band legte. Ich war dieser Frau so dankbar, dass sie mich wahrnahm, dass ich tatsächlich existierte. Ich hätte stundenlang an der Kasse stehen bleiben können, einfach nur, um die Nähe eines anderen Menschen zu spüren. Sie um Hilfe zu bitten kam mir nicht in den Sinn. Der Täter stand, wie ich dachte bewaffnet, nur Zentimeter neben mir. Ich hätte diese Frau, die mir für einen kurzen Augenblick das Gefühl gegeben hatte, dass ich tatsächlich lebte, niemals in Gefahr gebracht.
     
    * *  *
     
    In den nächsten Tagen nahmen die Misshandlungen wieder zu. Immer wieder sperrte mich der Täter wütend ein, immer wieder lag ich mit blauen Flecken auf meinem Bett und kämpfte mit mir selbst. Ich durfte mich nicht in meine Schmerzen fallen lassen. Ich durfte mich nicht aufgeben. Ich durfte dem Gedanken, dass diese Gefangenschaft das Beste war, was mir in meinem Leben widerfahren würde, keinen Raum geben. Ich musste mir immer wieder sagen, dass es kein Glück war, beim Täter leben zu dürfen, so wie er mir das immer wieder eingeredet hatte. Seine Sätze hatten sich um mich gelegt wie Fußangeln. Wenn ich vor Schmerzen gekrümmt im Dunkeln lag, wusste ich, dass er unrecht hatte. Aber das menschliche Gehirn verdrängt Verletzungen schnell. Schon am nächsten Tag gab ich mich allzu gerne wieder der Illusion hin, dass das alles nicht so schlimm sei, und glaubte seinen Beschwörungen.
    Aber wenn ich jemals aus meinem Verlies herauskommen wollte, musste ich diese Fußangeln loswerden.
     
I
want once more in my life some happiness
    And survive in the ecstasy of living
    I want once more see a smile and a laughing for a while
    I want once more the taste of someone's love
     
    Damals begann ich, mir selbst kleine Botschaften zu schreiben. Wenn man etwas schwarz auf weiß vor sich sieht, werden die Dinge greifbarer. Sie sind auf einer Ebene, der sich der Kopf schwerer entziehen kann, Wirklichkeit geworden. Ich notierte von nun an jede Misshandlung, nüchtern und ohne Emotionen. Ich habe diese Aufzeichnungen heute noch. Manches ist in einem einfachen Schülerblock im Format A5 eingetragen, in akkurater Schönschrift. Anderes habe ich auf ein grünes A4-Blatt geschrieben, die Zeilen dichtgedrängt. Damals wie heute erfüllen diese Notizen den gleichen Zweck. Denn selbst im Nachhinein sind mir die kleinen positiven Erlebnisse während meiner Gefangenschaft präsenter als die unglaubliche Grausamkeit, der ich jahrelang ausgesetzt war.
     
    20. 8. 200$ Wolfgang schlug mich mindestens drei Mal ins Gesicht, stieß mir ca. 4 Mal das Knie ins Steißbein und einmal gegen das Schambein. Er zwang mich, vor ihm niederzuknien und bohrte mir einen Schlüsselbund in den linken Ellenbogen, wovon ich einen Bluterguss und eine Schürfwunde mit gelblichem Ausflusssekret davontrug.
    Dann kommt noch Anschreien und Quälen dazu. Sechs Fausthiebe auf den Kopf.
     
    21.8.2005 Morgens anbrummen. Beschimpfungen ohne Grund. Dann Schläge und übers Knie legen. Tritte und Puffe. Sieben Schläge ins Gesicht, ein Fausthieb auf den Kopf. Beschimpfungen und Schläge ins Gesicht, ein Fausthieb auf den Kopf. Beschimpfungen und Schläge, nur Frühstück ohne Müsli. Dann Dunkelhaft bei mir unten / ohne Aussprache / blöde ausspielerische Sprüche. Und einmal mit dem Finger kratzen am Zahnfleisch. Kinndrücken und Halswürgen.
     
    22. 8. 2005 Fausthiebe auf den Kopf.
     
    23. 8. 2005 Mindestens 60 Schläge ins Gesicht. 10-15 schwere Übelkeit verursachende Schläge mit der Faust auf den Kopf, vier Schläge mit der flachen brutalen Hand auf den Kopf, ein Fausthieb mit voller Wucht auf mein rechtes Ohr und Kiefer. Das Ohr färbt sich schwärzlich. Würgen, schweren Uppercut, dass der Kiefer knirschte, Knietritte ca. 70 Stück, vorwiegend ins Steißbein und auf den Po. Fausthiebe ins Kreuz und auf das Rückgrat, die Rippenbögen und zwischen die Brüste. Schläge mit dem Besen auf den linken Ellenbogen und den Oberarm (schwärzlich-brauner Bluterguss), sowie das linke Handgelenk. Vier Schläge ins Auge, so dass

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