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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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diesem Geschick errettet habe. Als sie den Weg nach Penang angetreten hatte, waren ihre Träger überflüssig geworden. Wir bezahlten ihnen den rückständigen Lohn aus unserer Kasse und schickten sie fort, denn für den Transport des Kranken nach Kota Radscha konnten wir nicht sie, sondern nur zuverlässige Leute von uns brauchen. Es sollte einer unserer Häuptlinge mitgehen; aber ich übernahm dieses Amt lieber selbst, weil die Güte der ‚Shen‘ mir dies gebot. Ich habe während dieser ganzen Reise kein Wörtchen Englisch mit dem Kranken gesprochen, aber um so mehr gehört. Seine Krankheit ist eine mehrfache, nicht nur eine leibliche. Er sprach sehr viel für sich, oft wie im Fieber, oft vielleicht auch anders, meist englisch, zuweilen aber auch in einer Sprache, die ich nicht verstehe; eine asiatische war es nicht.“
    Indem er dies sagte, glaubte ich, annehmen zu müssen, daß er die deutsche Sprache meine.
    „Was ich da hörte, gab mir viel zu denken“, fuhr er fort. „Nicht nur sein Körper, sondern auch sein Inneres rang mit höchst gefährlichen Ansteckungsstoffen. Die leiblichen hatte er während seiner jetzigen Reise aufgenommen, die geistigen aber aus seiner Heimat mitgebracht. Es war, als ob zwei unsichtbare Mächte in ihm wohnten, die immerwährend miteinander kämpften. Er sprach wiederholt von einer Wette. Die eine Macht wollte diese Wette unbedingt gewinnen; die andere aber bat ihn flehend, sie zu verlieren. Es schien sich um die Bekehrung einer gewissen Anzahl von Chinesen zu handeln. Heidentempel sollten stürzen! Alle Ungläubigen von der Erde ausgerottet werden! Die gute Macht, die das nicht wollte, war ein Weib. Wenn er mit dieser sprach, wurde er sanft und lieb und gut. Er weinte zuweilen dazu und nannte sie seine Seele. Meist redete er mit ihr in jener Sprache, die ich nicht verstand. Kam aber die andere, die böse Macht, die ihn gewinnen lassen will, so sprach er stets englisch und begann, mit lauter, befehlshaberischer Stimme zu predigen. Dann zerbrach er alle Säulen und Pfeiler, die es in seinen wüsten Krankheitsbildern gab. Das war kein Weib, sondern etwas Männliches, Tyrannisches und über alle Maßen Rücksichtsloses! Er hatte es als Kind nicht gehabt, sondern nach und nach von seinem Vater und von seinen Lehrern empfangen. Das hörte ich. Es bestand in der Verachtung aller fremden Menschenrassen und vorzüglich aller Heiden. Er sprach aber auch davon, daß viele Millionen Christen weiter nichts als Heiden seien, ja, noch viel schlimmer als diese, weil sie nicht ganz genauso glauben wollen, wie er für richtig hielt. Er ging also noch viel, viel weiter, als die Christen gewöhnlich gehen. Sein Urteil war im höchsten Grade streng und ungerecht, das unfreundlichste, das allerunfreundlichste Vorurteil, welches mir jemals zu Ohren gekommen ist! Und damit habe ich den Namen jener bösen, menschenverderbenden Macht genannt, die ihn beherrschte, wenn die andere, die gute, von ihm gewichen war – das Vorurteil!“
    Er wandte sich dem Governor zu, indem er weitersprach:
    „Ihr habt dieses Vorurteil vorhin so deutlich beschrieben, als ob Ihr es genauso wie ich bei diesem Kranken beobachtet hättet. Wie Ihr seine leibliche Krankheit nennt, das weiß ich nicht; aber seine geistige besteht ganz unbedingt in diesem Vorurteil, welches eine Macht über ihn besitzt, der er, sobald sie über ihn kommt, unmöglich widerstehen kann. Er ist dann so schlimmer Worte fähig, daß man auch in Beziehung auf die Tat, die aus solchen Worten wächst, zu vermut – – –“
    Er wurde unterbrochen. Von der Tür her, welche geöffnet worden war, erklang ein lautes, herzbrechendes Schluchzen.
    In jener Gegend, so nahe am Äquator, wird es Punkt sechs Uhr Nacht. Die Dämmerung ist außerordentlich kurz. Sie war schon da. Es gab im Zimmer bereits jenes alles Äußerliche verhüllende Duster, welches die scharfen Linien des Tages verschwimmen und das Unkörperliche, das Seelische um so mehr hervortreten läßt. Draußen im Korridor war es noch dunkler als bei uns. Darum konnten wir die Gestalt derjenigen, welche da stand, schon nicht mehr erkennen. So hatte auf Grund unseres Gesprächsgegenstandes ihr Schluchzen etwas Unirdisches, etwas außerordentlich Ergreifendes, ja Erschütterndes für uns. Es war, als weine nicht ein Mensch, sondern jene unsichtbare edle, weibliche Macht, welche in dem Missionar so schwer und so unablässig die bösen Geister seines Vorurteiles zu kämpfen hatte.
    Der liebe, alte

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