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ich weiß, was unter dem Handtuch liegt.«
Da geb ich besser alles zu: »Ganz ehrlich, Herr Scherer, es tut uns echt leid, wir machen das sonst nicht, wir geben immer alles raus. Das ist jetzt wirklich nur eine Ausnahme, ganz ehrlich!«
Wir eiern noch ’ne Weile rum von wegen Lieblingsessen und sonst irgendwas, und irgendwann sagt der Scherer, dass er da jetzt keinen offiziellen Vorgang draus machen wird. Aber das nächste Mal wird er uns das nicht mehr durchgehen lassen.
Letztendlich haben Andi und ich durch unsere Arbeit einfach ein gutes Standing. Im Grunde arbeitest du nicht unter jemandem wie dem Scherer oder dem Hopp, du arbeitest mit denen. Du hast ’nen persönlichen Zugang zu ihnen, du kannst dich bewegen, kommst in Räume rein, kannst Sachen machen, an die kann ein normaler Häftling überhaupt nicht denken. Die Beamten vergessen nicht, dass ich eigentlich lieber hier rauswill, aber solange ich drin bin, wissen sie auch, wie die Essenausgabe davor ablief. Da gab’s immer das Risiko, dass das Essen zu spät stattfindet, dass es gar nicht stattfindet oder dass ein Dilettant das Brot vergessen hat. Dann hast du halt ein ganzes Haus, das Lärm macht, wo das Frühstück bleibt, und der Beamte muss denen erklären, dass die Gefangenen doof sind und das Brot vergessen haben.
Station für Station geben der Andi und ich das Frühstück aus, und währenddessen denk ich die ganze Zeit an die Tätowierfarbe, die in der Banane und in meiner Hosentasche steckt. Ich komme so voller Vorfreude in meine Zelle, da sitzt ein neuer Gefangener am Tisch, und eins sehe ich sofort – das ist keine Geldstrafe.
13
Ich habe im Knast eine Menge Leute kennengelernt, aber bis ich Wlad traf, kannte ich keinen einzigen Schwerverbrecher. Er ist ein Typ, der locker für Armani laufen könnte, obwohl sich natürlich keiner der Modeheinis trauen würde, ihn das zu fragen. Er ist groß, fast zwei Meter, gut auftrainiert, aber nicht zu viel, und hat diese markanten slawischen Züge, spitz geschnittenes Gesicht, hohe Wangenknochen und nicht nur blaue, sondern fast silberne Augen. Ich würde ihn für Ende dreißig halten, die Russen sind schwer zu schätzen, es war aber vollkommen klar, dass der Mann schon ’ne Menge gesehen hat im Leben. In der ersten Woche, nachdem er in meine Zelle eingezogen war, haben wir vielleicht zwanzig Sätze gewechselt, und in der Hälfte davon ging’s darum, wie wir uns jetzt in der Zelle einrichten.
Ich sag: »Ich bin der Oli.«
Er sagt: »Wlad.«
Ich sag: »Ich schlaf unten.«
Er sagt: »Alles klar.«
Von dem Moment an habe ich ihn weder lachen noch reden sehen noch sonst irgendwas. Ich meine, wir versuchen hier drin alle nur unsere Zeit zu machen, aber so komplett auf nichts anderes konzentriert, ist nur Wlad. Das ist keiner von den Leuten, die, wenn sie hier rausgehen, erst mal rumgucken, was sie dann machen. Der hat einen Plan, das merkst du gleich, und der Knast ist darin einfach eine Station, die er durchlaufen muss.
Jeden Abend nimmt er unseren Tisch, drehte ihn auf den Kopf, stützt sich mit den Händen rechts und links auf den Tischbeinen ab und stemmt sich, die Füße im Schneidersitz, dreißig, vierzig Mal aus. Den Oberkörper natürlich frei. Dann macht er fünf Minuten Pause, dann dasselbe nochmal. Ich sitze auf dem Bett, und er ist gerade mit dem ersten Satz durch, als ich ihn einfach mal auf seine Tätowierung anspreche. Er hat nur eine, auf der Brust, einen Spruch auf Latein. Mit der Sprache selber hab ich nie groß was anfangen können, aber in den Zitaten, die sich für Tätowierungen eignen, bin ich ziemlich sicher. Daher weiß ich auch, was »si vis pacem, para bellum« heißt.
Ich also nett: »Hey, wer Frieden will, rüstet zum Krieg, was?«
Der Wlad schaut mich von oben mit dieser Russenart an, bei der es dir kalt den Rücken runterläuft. Er ist leicht einen Kopf größer als ich, und ich denk, krass, wie wenig von dem als Antwort zurückkommt. Aber nachdem er den zweiten Trainingssatz beendet, das T-Shirt angezogen und mit einer Zigarette an dem zurückgedrehten Tisch sitzt, macht er doch den Mund auf.
»Woher weißt du?«, fragt er.
Und ich: »Was?«
»Das mit dem Krieg.«
Ich erzähl ihm mal kurz, wo ich so herkomme, und als hätte er mir das davor nicht angesehen, kapiert er auf einmal, dass er hier nicht mit irgend so ’nem Picco auf der Zelle sitzt, sondern mit jemandem, der Bildung hat. Das beeindruckt ihn offenbar.
»Was machst du hier, wo du hast Abitur?«,
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