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dass es hinter Gittern endstanden ist. Die Wahl der Motive hat es in sich, beide Beine bestehen exklusiv aus nackten Frauen, es müssen mehr als zwanzig sein. Von der Qualität und Umsetzung her scheinen Kindergartenkinder den Auftrag bekommen zu haben, Pin-up-Girls zu malen. Die Tattoos sind so schlecht, dass sie schon wieder cool sind.
Er hatte sich aus seinem Langhaarschneider mit einigen Tricks ’ne ordentliche Maschine gebastelt, die er, bis er sie richtig beherrschte, erst mal an Geldstrafen ausprobierte. Vor Kurzem kam er beim Hofgang mit so ’nem Typen unterm Arm auf Andi und mich zu. Er biegt ihm den Kopf nach unten, legt den Hals frei, und Andi und ich kriegen auf dem Genick den albsolut behindertesten Totenkopf überhaupt zu sehen. Ich mein, da setz ich dir jeden Dreijährigen dran, und er macht es besser.
Ich sag: »Ja, Pitbull, spinnst du?«
Und er: »Wieso?«
Und die Geldstrafe: »Sieht’s nicht gut aus?«
Aber der Andi: »Passt schon, Alter.«
Und wieder die Geldstrafe: »Echt wahr?«
Und der Pitbull jetzt langsam sauer: »Eh, Alter, hab ich gesagt, ich mach dir coole Tätowierung?«
Und noch mal die Geldstrafe: »Ja, schon.«
Und der Pitbull: »Na, also.«
Der Pitbull ist einer von den Typen, die sie hier niemals rauslassen würden, wenn sie könnten, nicht mal auf Freigang, völlig egal, wie lange der noch hat. Die Chance, dass der, wenn er rausgeht, Wodka trinkt, ist hundert Prozent. Die Chance, dass er eine Boxerei anfängt, ist am Tag dreiunddreißig Prozent. Das heißt, wenn der für drei Tage rausdarf, trinkt er, dann wird geboxt und es knallt, ist einfach so. Vor Kurzem kam er in meine Zelle. Er zeigt auf das Schachspiel, auf die geschmissenen Bauern und dann in seinen Schritt. Pitbull nimmt einen der Bauern in die Hand, beißt ihm den Plastikkopf ab und zuckt mit den Schultern.
»Okay«, sage ich zu Andi, »das ist dann wohl das, was wir hier immer so lapidar ›Haftschaden‹ nennen.«
Andi kontert: »Bauernopfer.«
Auf unser »Warum« hat Pitbull keine Antwort, verlässt die Zelle glücklich mit dem Kopf im Mund. Ab jetzt spielen wir eben mit ’nem kopflosen Bauern, was will man machen.
Ein paar Tage später läuft mir Pitbull auf dem Gang über den Weg. Ich staune nicht schlecht, als er den Bauernkopf aus seinem Mund in seine Hand spuckt, ihn zwischen Zeigefinger und Daumen rollt und mir direkt vors Auge hält. Ich soll den Kopf auch mal nehmen und begutachten. Begeistert erklärt er mir dazu etwas auf Rumänisch.
Das muss ich erst einmal verdauen und spreche Andi darauf an: »Ich glaube, Pitbull dreht langsam am Rad, und leider hat es irgendwas mit mir zu tun.«
»Warum?«, fragt er.
»Naja, Pitbull hat doch ’nem Bauern von mir den Kopf abgebissen und rennt jetzt seit Tagen damit im Mund rum, und zeigt ihn mir dann ganz stolz.«
»Weil er ein Idiot ist!«
»Du weißt, warum er den Kopf im Mund hat?«
»Ja, weil Pitbull ein Idiot ist! Er hat den Kopf im Mund, damit die Stelle, wo er abgebissen hat, glatt wird. Damit eine ganz normale Kugel ohne Kratzer daraus wird, rund eben, ohne Spuren.«
»Und warum das?«
»Weil Pitbull ein rumänischer Idiot ist, bitte nerv mich nicht mit solchen Sachen.«
Eine Woche später, Andi und ich sitzen dank Saunatemperaturen mit nassen Handtüchern auf den Köpfen da und träumen von einem Ventilator, da fliegt die Zellentür auf: Pitbull, bestens gelaunt! Auch er mit Handtuch und einer Kaffeetasse, voll mit stinkendem 80 % Ethanolalkohol, also eigentlich dem Desinfektionsmittel des Hausarbeiters.
»Prost, Pitbull!«
»Nastrovje!«
Da spuckt Pitbull seine geliebte Kugel in die Tasse und breitet das Handtuch auf unserem Tisch aus.
Andi stöhnt: »So eine Idiot.«
Pitbull ext jetzt die Tasse samt Kugel, gurgelt dann und schluckt das Desinfektionsmittel runter. Ich denke mir noch, endlich ist die Kugel auch weg, da spuckt er sie aufs Handtuch. Aus seinem Hosenbund kramt er einen selbst gebastelten kleinen Dolch, den ich grade zum ersten Mal sehe, der mich aber darin bestärkt, Pitbull nicht zu verärgern und ihm stattdessen über das ganze Gesicht strahlend zuzuschauen.
Es folgen ein paar Zeilen auf Rumänisch, dann zieht er blank, packt seinen Schwanz mit der linken, zieht ihn so lang er nur kann, während er ihn aufs Handtuch presst und mit der Rechten den Dolch greift. »Kann doch nicht sein«, ist mein letzter Gedanke, dann jagt sich Pitbull den Dolch auch schon in seine Gurke. Treffer, einmal durch. Wäre ich bloß
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