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das hier mehr als gut gefallen würde – aber leider werden sie das nie so zu sehen bekommen. Unsere Sport-Beamten sind recht lässig, die haben auch längst das Handtuch geworfen und spielen mit. Sie sind Teil der seltsamen Mannschaften, werden beleidigt wie jeder andere und beleidigen genauso zurück. Beim Spiel vergessen alle, wer und wo sie sind.
Die ganzen Geschichten schreibe ich immer noch meiner Süßen. Jeden Tag einen Brief, aber es ist schwer. Ich bin eingesperrt, ich kann nicht weg, und trotzdem entferne ich mich stärker von ihr.
Als ich ihr bei ihrem letzten Besuch die Tätowierung gezeigt habe, die ich mir extra für sie gestochen habe – einen Kalender, über dem ihre Initialen standen – wäre sie fast aufgestanden und gegangen. Ich wollte sie überraschen, ich war doch wochenlang an dieser Tätogeschichte dran. Dann sitz ich ihr gegenüber im Besucherraum und zieh so ganz vorsichtig mein Hosenbein hoch, damit sie meinen Unterschenkel sehen kann. Aber statt dass sie sich freut oder sonst irgendwas, sagt sie, sie will nicht, dass ich mich selber tätowiere wie ein Knasti. Das war schon enttäuschend.
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Andi, Wlad und ich stehen bei Herrn Scherer im Büro. Er hat uns über die Zentrale ausrufen lassen, und wie er da so sitzt, so gerade und ernst, soll es jetzt offenbar nicht drum gehen, dass das Chamäleon zum vierten Essenausgeber befördert wird. Es geht wohl auch nicht um Hähnchenschenkel. Auf seinem Schreibtisch, auf dem normalerweise seine selbst gebastelten Zigarettenschachtelautos parken, liegen ein paar Anliegen. Von unserer Seite des Tisches sieht keins von denen so aus, als würde es aus meiner Schreibmaschine stammen.
Der Scherer wird auch gleich sehr streng: »Meine Herren, ich habe hier mehrere Beschwerden liegen, dass Sie Ihre Arbeitssachen auch während der Freistunde tragen, dass Sie sie auch bei Besuchen tragen, und dass Sie also eigentlich überhaupt nicht mehr aussehen wie das allgemeine Erscheinungsbild hier.«
Das kann man nun wirklich schwer abstreiten. Wir tragen die Essenausgebershirts ja nicht nur zu den Anlässen, die er grad genannt hat, wir stehen jetzt auch in den Klamotten vor ihm und Mittag ist schon Stunden her. Wir sind also ganz klar im Unrecht, was erst mal nur bedeutet, dass wir umso härter diskutieren müssen. Wlad und Andi bleiben stumm. Ist ja auch meine Aufgabe.
Ich steig auf Verdacht daher sofort mal härter ein: »Hören Sie zu, Herr Scherer, die Sache ist doch ganz einfach.«
Die Essenausgabe beginnt um zwölf. Danach haben wir exakt eine Stunde, um das gesamte Haus zu versorgen, bevor sich direkt die Freistunde anschließt. Aber wenn wir mit dem Essenausgeben fertig sind, haben wir selbst noch nichts gegessen und sind auch noch nicht auf dem Hof. Daher fanden wir es eigentlich irre großzügig von uns, dass wir auf das Umziehen verzichten, anstatt auf eine volle Freistunde zu bestehen, die uns von Gesetz wegen zusteht. Eine Freistunde pro Tag muss jeder Gefangene haben.
»So, wie ich das sehe«, sag ich zum Scherer, »gibt es da nur zwei Möglichkeiten: Entweder, Sie verlegen für das ganze Haus die Essenszeiten, oder wir kriegen unsere eigene Freistunde.«
Ich muss sagen, dass ich zu dem Zeitpunkt eigentlich zu allen Beamten da drinnen ein super Verhältnis entwickelt hab. Natürlich darfst du nie mit denen in den Krieg ziehen, aber solange du sympathisch bleibst, geht viel. Sogar mit der Lesbe, die mich früher so gehasst hat, versteh ich mich inzwischen topp. Letztens hatten wir einen Fall mit Verdacht auf Schweinegrippe im Haus, da meinte ich so auf dem Gang zu ihr, da hätt ich jetzt aber echt Panik vor und sie solle mich doch bitte rauslassen.
Und sie so auf autoritär: »Nee, mach ich nicht.«
Ich noch grinsend: »Ja gut, also, wenn Sie mich nicht rauslassen, dann fliehe ich halt. Dann gehe ich übern Zaun.«
Aber sie todernst: »Dann erschieße ich Sie, Herr Stein, dann hole ich mein Gewehr und erschieße Sie.«
Da meine ich: »Das würden Sie doch niemals machen.«
Aber sie: »Ich würde ein ganzes Magazin leer schießen.«
Und dann müssen wir beide voll grinsen, dass wir inzwischen solche Unterhaltungen miteinander führen.
Jetzt aber schaut der alte Scherer mich in seinem Büro aus leeren Augen an. Er kann es nicht fassen. Als wir reinkamen, wollte er uns doch nur die T-Shirts wegnehmen. Jetzt muss er froh sein, wenn er uns am Ende keinen Hofgang für uns drei allein erlaubt hat. Ich guck mit Absicht nicht rüber zu Andi und
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