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ist doch deine Aufgabe.«
Und ich sag auch: »Der Andi hat recht.«
Doch der Wlad: »Brauchen wir trotzdem neuen Mann.«
Das Problem ist, dass, wie immer, wenn du in dem Laden was umstellen willst, die Kundschaft sich echt schwer umgewöhnt. Statt dass uns die Gefangenen nach dem Essen die Teller einfach zurückbringen, behalten sie die auf der Zelle und uns fehlt Geschirr. Wir haben inzwischen schon mehrfach von der Zentrale durchsagen lassen, dass wir die Teller wiederhaben müssen, weil wir sonst kein Essen mehr austeilen, aber da hält sich natürlich keiner dran. Eigentlich brauchst du jemanden, der von Zelle zu Zelle geht, um das Zeug komplett einzusammeln, aber ich sehe auch, dass das kein Job für Wlad ist. Er steht zwar insgesamt nicht mehr als zwei Stunden pro Tag an der Spülmaschine, womit für ihn die Essenausgeberei eigentlich ziemlich lau ausgegangen ist, das Ranschaffen des Geschirrs sollte man aber besser nicht in seine Hände legen. Wenn man nicht will, dass das Ganze schnell in Handgreiflichkeiten endet.
Oder wie Wlad sagt: »Oli, geh ich doch nicht rum und bettle um dreckige Teller, weißt du. Was wir unternehmen mit Spüler?«
»Wir holen uns einen vierten Mann«, sag ich.
»Aber das kriegen wir niemals durch«, sagt Andi.
Womöglich hat er damit recht. Ich werde sehen, was mir einfällt, wenn ich mich gleich für ein Anliegen, das sich gewaschen hat, an die Schreibmaschine setze. Einen Namen hab ich schon im Kopf. Einer, der seine Augen überall hat. Der perfekte Mann im Grunde, solange ihm das Flugbenzin nicht ausgeht.
Wir sitzen noch eine Weile in der Sonne. Es ist ein so schöner Tag. Wenn ich auf dem Boden liege und in den Himmel sehe, könnte es überall sein. Vor drei Jahren war ich um diese Zeit Segeln im Mittelmeer. Wo werde ich in drei Jahren um diese Zeit sein? Ich frage mich, was die Leute machen, die ich draußen noch kenne. Ich stelle fest, das über die Zeit immer mehr Kontakte nach draußen abreißen, während drinnen neue Kontakte, und das ganz zwangsläufig, entstehen. Ich bin von einigen Freunden so was von enttäuscht, dass die Freundschaft über meine Inhaftierung hinaus auch nicht mehr bestehen wird. Es sind grade die, auf die man gewettet hätte, von denen man nichts hört, nicht ein Brief in Monaten. In weniger Fällen verhält es sich andersrum, du sitzt vor einem Brief, einer Karte, die du nie erwartet hättest, und bist dazu gezwungen, dir zu überlegen, ob du dieser Person geschrieben hättest – dabei ertappst du dich, dass du es nicht hättest. So gesehen ist Knast, wie vielleicht auch Krankheit, eine interessante, aber auch sehr verletzende Probe fürs eigene Umfeld und natürlich auch für dich selbst. Bin immer sehr gerührt, wenn ich unerwartet Post bekomme und immer wieder sehr enttäuscht, wenn erwartete Post nicht kommt. So hält sich Freude und Depression die Waage, Liebe und Hass, alles auf ein paar Quadratmetern.
Zu extreme Emotionen versuche ich zu kontrollieren. Sie fressen einen auf, du hast zu viel Zeit, zu wenig Ablenkung.
Banale, stumpfe Arbeit lenkt ab. Lesen hilft. Seit Jahren finde ich wieder die Ruhe, die es braucht, sich mit einem Buch auseinanderzusetzen, sich absolut ins Geschriebene hineinzutrauen, ein Ort für die eigene Fantasie. Schreiben hilft auch. Ich schreibe Lieder, Gedichte, jeden Tag ein bis drei Liebesbriefe – Bestandsaufnahmen an meine Süße. Leider kann ich die Lieder hier nicht einsingen. Es gab mal einen Knast-Band-Raum, er wurde geschlossen, das Projekt Knast-Mucke verworfen. »Warum?«, frage ich den Sozialdienst. Die Band hat sich untereinander fast totgehauen, der Bassist wollte den Drummer mit der Hi-Hat erschlagen. »Das ist doch normal, das ist draußen auch so«, versuche ich der Sozialarbeiterin zu erklären, aber es hilft nicht. Der Band-Raum bleibt geschlossen. Schade. Auch im Sport verhält es sich so. Fußball wurde aufgrund von zu derbem Kontakt schon längst vor meiner Zeit hier verboten. Basketball hat auch nicht so gut funktioniert, für zwei Spieler ging es nach ein paar ausgeschlagenen Zähnen auf Zelle 12 und 13. »Nachschlag« dank Knast-Sport.
Wir dürfen nur noch Volleyball spielen. Ich liebe es: Tätowierte Brecher, dünne Jungs, die mit Messer in der Unterhose spielen, Geschrei, Geprolle und Gelache im Hochsommer. Wer nicht mitspielt, guckt zu, und die Kaninchen haben wahrscheinlich auch ihren Spaß. Knast-Romantik könnte man das wohl nennen und mir fallen ein paar Freundinnen ein, denen
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