313
Tiefpunkte im Leben angeht, und da gab es einige. Die Bullen haben ihn schon eine Weile wegen seiner Drogengeschäfte überwacht, ohne dass er deswegen aufgehört hätte. Er hat nur aus Sicherheitsgründen nicht mehr vom Handy aus telefoniert. Als er also mit ’nem Großhändler einen Termin ausmachen will, wann er das nächste Zeug entgegennehmen soll, geht er dafür in eine Telefonzelle an der Straße. Er redet gerade mit dem Dealer, als ein Busfahrer plötzlich die Kontrolle über seinen Bus verliert und in die Telefonzelle hineinfährt. Drei Telefonhäuschen reißt es komplett weg, hätte der Gonzo da dringestanden, wäre Feierabend gewesen. Aber er steht im vierten, darum zertrümmert es ihm nur beide Beine. Er kommt ins Krankenhaus, wo die Schwestern in seinen Taschen nach seinem Personalausweise suchen, weil er kaum ansprechbar ist. Aber den Personalausweis hat er absichtlich nicht dabei, nur dreißigtausend Euro in bar. Daraufhin rufen die Ärzte die Polizei, und für Gonzo geht es aus dem Krankenzimmer direkt in die Zelle.
»Gonzo, bitte erzähl doch noch mal die Geschichte von dem Bus«, sagt der Andi. »Hast du den nicht kommen sehen?
Wir sitzen alle auf der Zelle und warten drauf, dass die große Gonzo-Show beginnt. Jeden Tag ein Best of aus Missgeschicken.
Er fängt an: »Nein, hab ich nicht kommen sehen, diese Scheißbus. Auf einmal hab ich nur gespürt: Woah. Dann bin ich aufgewacht, und die fragen mich die ganze Zeit: Wie heißen Sie? Hab ich gesagt: Ich weiß es nicht. Haben die gesagt: Kann nicht sein. Sag ich: Doch. Sagen die: Und woher haben Sie das Bargeld?«
Wir pissen uns vor Lachen in die Hosen bei der Vorstellung, wie ein Ausländer, der vom Bus überfahren wurde, mit dreißigtausend Euro und lauter Spickzetteln, wo die Telefonnummern draufstehen, die er sonst im Handy hat, ins Krankenhaus kommt. Natürlich muss der Gonzo auch lachen, und dann zeigt der so sein Bein, und von diesem Bein fehlt einfach ein Stück, wie wenn da ein Haifisch reingebissen hätte, weil das halt so zertrümmert war.
»Die werd ich verklagen«, sagt er voll empört, »diese Scheißstadt mit ihrem Scheißbus.«
»Ja, Gonzo, wie lange sitzt du denn schon?«
»Dreieinhalb Jahre.«
»Warum hast du denn da noch nichts gemacht mit der Stadt?«
»Ähm, ja, weil … Ihr wollt mich doch nur verarschen!«
Und dann nimmt er wieder Kampfposition ein.
Der Gonzo für sich allein ist jetzt vielleicht nicht wahnsinnig gefährlich. Auf der anderen Seite ist er niemand, bei dem ich Schusswaffengebrauch für ausgeschlossen halte. Der tritt halt aufgrund seiner Herkunft und dem ganzen Kurden-Getue draußen in Gruppen bis zu zwanzig Mann stark auf. Die hauen dich komplett kaputt. Da ist dann schnell richtig Sense. Im freien Leben ist der Gonzo einer der Allerletzten, mit denen ich Ärger haben wollte. Der ist zwar kein absolutes Alphatier, aber als Betawolf geht der auch mit, wenn ein Ehrenmord stattfindet.
»Ist so«, sagt er, »muss ich halt mitgehen, bin Kurde.«
Wenn ich den nicht im Knast kennengelernt hätte, sondern in Freiheit und ihm ’nen Spruch von wegen Segelohren reingedrückt hätte oder so, hätte ich ’n Messer dringehabt. Keine Frage. Das wäre dann schon der bestmöglichste Fall gewesen, dass es nur in ’ner Schlägerei endet, bei der ich zusammengewichst werde.
Der zweite Neuzugang, der in dieser Woche auf unsere Station kam, ist ein Pole, guter Mann von der Statur her, nur im Kopf vollkommen verwirrt, IQ höchstens zweistellig. Er hat die Angewohnheit, immer so in die Leute reinzulaufen, was im Geschlossenen ein absolutes Tabu ist. Du schubst niemanden, du trittst niemandem auf den Fuß, du hast nur zwei Gründe, jemanden zu berühren, entweder du bist mit ihm befreundet oder du prügelst dich mit ihm. Vor allem auf unserem Gang kann Letzteres immer passieren. Wir sind die heftigste Station im Haus, nur Atzlebener, nur schwere Jungs, Hells Angels, Russen, Bankräuber, Leute, die viel mit Drogen gemacht haben. Was Geldstrafe oder Junkie ist, haben wir versucht, gleich rauszuekeln.
Der Andi und ich verteilen gerade das Mittagessen, Nudeln mit Gulasch, da läuft dieser verpeilte Pole wie ein Betrunkener an der Schlange vorbei, drängelt sich vorn rein, das gibt schon Gemurre, und als Nächstes beschwert er sich, dass ich ihm zu wenig Essen gebe. Er lässt echt kein Fettnäpfchen aus, der Pole.
Ich sag: »Ich hab dir absolut korrekt gegeben, Alter.«
Aber er prollt mich so voll: »Mach mehr drauf,
Weitere Kostenlose Bücher