Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
313

313

Titel: 313 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Tewaag
Vom Netzwerk:
und meiner Hauptschlagader. Glücklicherweise hat der Typ mit seiner anderen Hand nicht meinen Hinterkopf zu fassen bekommen. Ein Schritt zurück und ein kurzer Blick zu meiner Linken, da blubbert, kurz vorm Überlaufen, unser Zwei-Liter-Stations-wasserkocher. Ich greife ihn und jetzt steht Rasierklinge gegen zwei Liter kochendes Wasser … Zweifel, ob ich ihm das Ding in die Fresse kippe – bei nur einem Schritt in meine Richtung – gibt es auch nicht. So stehen wir voreinander, ebenbürtig, irgendwie. »Hab dein Gemüse nicht angefasst«, sag ich. »Glaub mir, oder du frisst den Wasserkocher!« Die Situation beruhigt sich. Ich verlasse die Gemeinschaftsküche. Irgendwie so ein unwirklicher Moment. Einen Tag später haben wir uns darauf geeinigt, dass es wohl ein Missverständnis war. Das war es auch, aber eben ein knappes …
    Ein paar Tage später liegen wir während unserer Freistunde so im Hof in der Sonne. Wlad macht Liegestütze, ich les ein Buch und der Andi chillt einfach nur ab, es geht alles so sein Ding, als auf einmal direkt über uns ein Polizeihubschrauber auftaucht. Lass es zwanzig Meter Abstand sein, weiter ist der nicht weg. Es wird mordsmäßig laut. Da bringt sich über dem Frauenknast noch ein zweiter Hubschrauber in Stellung, der steht auch so tief, und da klatschen sich der Andi und ich ab, weil in dem Moment vollkommen klar ist: Hier haut grad irgendwo einer ab!
    Der Andi springt unter dem Hubschrauber auf und ab: »Da hat einer den Schuh gemacht, Alter! Da macht einer den Schuh!«
    Wir glotzen von unten den Hubschrauber an, wir sehen die Gesichter der Beamten, wir sehen die Kamera an seiner Kufe, die hin und her schwenkt wie irre. Wie eine Libelle steigt der Hubschrauber hoch, zieht ab, bleibt stehen, guckt, kommt zurück. Drüben vom Frauenknast hören wir, wie die Ladies ihr Geschirr gegen die Gitter schlagen, dong, dong, dong, weil sie so viel Chaos stiften wollen wie möglich. Es sind locker fünfhundert Meter von denen bis zu uns, aber wir hören die. Auf einmal siehst du den ganzen Knast völlig in Aufruhr, alle freuen sich tierisch einen ab, während träge der Apparat der JVA anspringt.
    Die Justizvollzugsanstalt besteht aus mehreren Häusern, von denen eins das sogenannte Zugangshaus ist. Dort sitzen die Typen, die sie auf der Straße bei irgendwas aufgegriffen haben. Du hast ’ne Bank überfallen, die Bullen kassieren dich ein, kommst du ins Zugangshaus. Du bist ’ne Geldstrafe und hängst am Bahnhof rum, kommst du ins Zugangshaus. Da bleibst du dann zwischen einem und drei Tagen, bevor du irgendwohin weitergebracht wirst. In dem Sinne ist das Zugangshaus halt das Beschissenste, was es gibt. Du bist so kurz da, dass du keinen Fernseher beantragen kannst, stattdessen sitzt du die ganze Zeit in so einer Art Ausnüchterungszelle und schaust auf eine Sieben-Meter-Mauer mit Stacheldrahtkrone, die um das ganze Ding gezogen ist.
    »Alter, krass«, sagt der Andi und zeigt rüber.
    Ich sag erst: »Wo, Alter, wo?«
    Dann sehe ich es auch. Von der Mauer um das Zugangshaus verläuft eine saubere Blutspur von oben nach unten. So, als wäre irgendwas, das man angestochen hat, dran runtergerutscht. Da muss sich einer am Stacheldraht alles aufgerissen haben.
    Wenn einer aus dem Zugangshaus flieht, ist das ’ne ultimative Ansage, man weiß ja noch gar nicht, was die Person alles gemacht hat. Also denken logischerweise alle, wenn der so dreist flieht und richtig sein Leben riskiert, wenn der Einsatz so hoch ist, dann wird der auch irgendwas gemacht haben.
    In dem Moment kommt aus den Lautsprechern die Ansage, dass sich alle verfügbaren Kräfte sofort auf der Hauptzentrale einzufinden haben. Alles wird abgezogen, völliges Chaos, keine Struktur mehr. Wir hören Tore aufgehen, Beamte hetzen im Laufschritt über den Hof. Auf unserem Hof steht auf einmal nur noch ein einziger Mann für fast zweihundert Gefangene. Normalerweise müsste unsere Freistunde sofort beendet werden, aber dafür ist keine Zeit, überall geht voll der Fez ab. Wir stehen unter dem Hubschrauber, zeigen schon den Mittelfinger, allerseits herrscht Riesenstimmung, da angelt sich der Pitbull eine von Kupps Tomaten und wirft sie nach oben auf den Hubschrauber.
    Der Kupp schreit: »Bist du wahnsinnig, Alter?«
    Aber der Pitbull will sich nicht aufhalten lassen. Schon hat er die Hände an den Gitterkörben, der Kupp ist hinter ihm, ich denke, das ist Anarchie, das ist Anarchie, da dreht der Hubschrauber ab und fliegt außer

Weitere Kostenlose Bücher