32 - Der Blaurote Methusalem
Reisenden, welche nicht gewohnt waren, einen ganzen Tag im Sattel zu sitzen, ungemein angestrengt. Am größten mußte die Ermüdung Richards sein. Er konnte kaum die Beine biegen und hatte einen ungemein steifen Schritt, gab sich aber mannhaft Mühe, es nicht bemerken zu lassen.
Noch schlimmer schien der Mijnheer daran zu sein. Er hatte schon während des Nachmittags geklagt, ohne aber sehr beachtet zu werden. Dann waren seine Seufzer tiefer und seine Ausrufungen lauter geworden, und auf Befragen hatte er erklärt, daß er seine Glieder nicht mehr fühle. Es war allerdings nichts Kleines für einen so starkbeleibten Mann, einen Tag lang in der engen Sänfte bewegungslos sitzen zu müssen und, da dieselbe von zwei Pferden getragen wurde, alle Unebenheiten des Weges zwiefach empfinden zu müssen. Als er nun jetzt aus dem Palankin steigen wollte, war ihm das unmöglich. Zwei Diener des Mandarins zogen und ein dritter auf der andern Seite schob ihn heraus. Als er die Erde unter sich hatte, wankte er, so daß er gehalten werden mußte. Glücklicherweise lag das Empfangszimmer zur ebenen Erde, so daß es keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bot, ihn dorthin zu bringen. Da aber sank er sofort in einen Stuhl, faltete die Hände über den Leib, stieß einen langen, stöhnenden Seufzer aus und schloß die Augen, indem er langsam flüsterte: „Ik ben dood; ik ben gestorven. Mijne ziel is ginds, en maar mijn lichaam is hier gebleven. Goede nacht, o boes wereld – Ich bin tot; ich bin gestorben. Meine Seele ist jenseits, und nur mein Leichnam ist hier geblieben. Gute Nacht, o böse Welt!“
Ganz so wie gestern wurden den Reisenden Zimmer angewiesen. Der Dicke mußte in das seinige getragen werden, wo man ihn in das Bett legte. Er ließ das mit sich geschehen, ohne auch nur die Augen zu öffnen.
In Rücksicht auf die allgemeine Ermüdung hatte Degenfeld das Abendessen später als gestern bestellt. Jeder wollte vorher ein wenig ausruhen, und so kam es, daß keiner sich um den Mijnheer kümmerte. Man kannte ihn ja und wußte also, daß es ihm mit dem Sterben keineswegs Ernst sei.
Als dann an alle die Aufforderung zum Nachtmahl erging, fanden sie sich in dem dazu bestimmten Zimmer zusammen. Nur Aardappelenbosch fehlte, und so ging der Gottfried ihn zu holen. Er lag noch wie vorher mit geschlossenen Augen auf dem Bett.
„Mijnheer, schlafen Sie?“ fragte der Wichsier.
Keine Antwort.
„Mijnheer, wachen Sie auf!“ bat Gottfried, indem er ihn rüttelte.
„Ik ben gestorven“, antwortete der Holländer in klagendem Ton.
„Sind Sie wirklich tot?“
„Ja, op mijn woord!“
„So müssen wir Sie also begraben?“
„Ja, ik moet in de aard geleid worden – Ja, ich muß in die Erde gelegt werden.“
„Schade, jammerschade! Geradejetzt, wo es Leberpastete mit Reispudding gibt!“
„Leverpastei me rijstepudding?“ schrie der Dicke, indem er in demselben Augenblick kerzengerade auf den Beinen und in der Stube stand.
„Ja, das Essen ist serviert.“
„Het avondeten? Ik ga met; ik ga soedig met – Das Abendessen? Ich gehe mit; ich gehe schnell mit!“
Er faßte den Gottfried beim Arm und zog ihn eilig zur Tür hinaus, obgleich seine noch ungelenken Beine sich gegen diese Eile sträubten. So kam es, daß die Seele des Dicken wieder aus dem ‚Jenseits‘ zurückkehrte, und dieses Wunder, diese Auferstehung eines Toten war von zwei sehr einfachen, aber höchst delikaten Worten vollbracht worden – Leverpastei und Rijstepudding.
Wie Schin-hoa kleiner ist als Schao-tscheu, so hatte alles hier einen bescheideneren Anstrich. Der Gemeindepalast war ein gewöhnliches, wenn auch geräumiges Haus. Der Bürgermeister trug die einfache Goldkugel auf der Mütze und floß weniger über von unterwürfigen Redensarten. Das Essen bestand aus weniger und nicht so kostbaren Gängen, und es gab nur zwei Personen, um die Gäste zu bedienen. Der Mandarin getraute sich gar nicht, bei dem Essen gegenwärtig zu sein.
Dies alles war den Reisenden nur lieb. Sie sahen sich nicht unter dem Zwang der Etikette und konnten sich nach Herzenslust unterhalten, obgleich sie dies der beiden Diener wegen mit dem gebotenen Ernst taten. Als diese aber am Schluß den Raki brachten und sich dann entfernten, konnte der Gottfried es nicht länger zurückhalten, auf welche Weise er den Mijnheer vom sicheren Tod errettet hatte. Sein Bericht erregte natürlich die allgemeinste Heiterkeit, in welche der Dicke endlich selbst mit einstimmte. Doch
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