321 - In 80 Welten durch den Tag
erinnerte sich Tom an Dinge, die er nie gewusst hatte und die er deshalb nicht deuten konnte. Er sah ein Konstrukt aus zwei äußeren Ringen und einer flachen, konkaven Schüssel in der Mitte. Fischähnliche, aber aufrechtgehende Wesen, die klackende Laute von sich gaben. Hass, Krieg. Das Verlangen, den Gegner auszuradieren. Dann ein Schuss, abgegeben von der Schüssel.
»Eine Manipulation von Raum und Zeit«, fuhr die Stimme fort. »Dies geschah Tausende von Jahren vor deiner Geburt. Plötzlich existierten zwei Welten. Sie besaßen eine identische Vergangenheit, aber ab dem Zeitpunkt der Verdopplung eine unterschiedliche Zukunft. Da sie aber demselben Ursprung entstammten, lagen sie so nahe beieinander, dass ihre weitere Entwicklung sehr ähnlich verlief. Inzwischen wissen wir, dass sich die Welten durch ihre Nähe zueinander gegenseitig beeinflussten. Ein Ereignis in einer Welt führte zu einem ähnlichen oder dem gleichen Ereignis in der anderen Welt.«
Tom konnte noch immer nicht fassen, was er da hörte. »Es gibt zwei Welten?«
»Nein. Etwa alle tausend Jahre wiederholte sich das Raumzeitereignis. Nie mit der Kraft des ersten, doch ausreichend, die Welten erneut zu verdoppeln. Manchmal entstanden auch nur Durchgänge zwischen ihnen.«
»Wie...« Tom musste schlucken. »Wie viele gibt es inzwischen?«
»Etwa achtzig. Einst verliefen sie parallel zueinander, glichen ihre Geschichten aneinander an und existierten harmonisch nebeneinander.«
»Einst?« Tom glaubte, dass sie sich allmählich dem eigentlichen Problem näherten. Unbehaglich rutschte er auf dem Stuhl herum.
»Nun schweben alle Welten in großer Gefahr. Und wahrscheinlich tragen wir selbst die Schuld daran.«
»Warum? Was habt ihr getan?«
»Um das zu verstehen, musst du zunächst mehr über unsere Herkunft wissen. Wir sehen nicht aus wie du, dennoch sind wir Menschen.«
»Ihr seid...?«
»Menschen. Richtig. Oder das, was die Evolution daraus gemacht hat. Unsere Vorfahren in tiefster Vergangenheit waren wie du.«
»Heißt das, ich befinde mich in der Zukunft?«
»Aus deiner Sicht schon.«
»Wie weit?«
Der Archivar zögerte. »974.489 Jahre, 211 Tage, vier Stunden und...«
»Danke. Noch genauer brauche ich es nicht.«
Für einen Augenblick schien dieser Satz den Geschuppten aus dem Konzept zu bringen. Doch dann fuhr er fort: »Unsere Vorfahren widmeten ihr Dasein der Forschung und der Wissenschaft. Eines Tages erschien der aus Stein erblühte Prophet unter ihnen und warnte sie vor einer zerstörerischen Gefahr, die alles Leben auslöschen könne.«
Diese Wendung überraschte Tom noch mehr als die Existenz verschiedener Welten. Er hatte die Archivare für Wesen auf einer hohen Entwicklungsstufe gehalten, rationell bis auf die Knochen. Und nun kamen sie ihm mit einer religiös verbrämten Geschichte von einem Propheten, der das Ende der Welt verkündete?
»Der aus Stein Erblühte sei erschienen, um dies zu verhindern. Er erwählte unsere Vorfahren, ihm bei dieser heiligen Aufgabe zu helfen. Dazu sollten sie die Technik der Menschheit sammeln, denn eines Tages werde ein Mann erscheinen, der die Zeiten überdauere und der mit dieser Technik die Welt zu retten versuche. Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Prophet damit dich meinte.«
Tom wusste nicht, was er sagen sollte. Also hörte er weiter zu.
»Im Laufe der Jahrhunderttausende entwickelten wir uns zu dem, was du vor dir siehst. Wir enträtselten das Wesen der Zeit und errichteten zwischen allen Welten und Zeiten die Domäne, die uns als Archiv für die Exponate diente.«
Das wurde immer abenteuerlicher! »Wollt ihr damit sagen, ihr könnt in der Zeit reisen?«
»Wie kann ich dir das erklären?« Für einen Moment verstummte die Stimme in Toms Kopf. »Stell dir den zeitlosen Raum wie einen langen Korridor vor, von dem viele Türen abzweigen. Durch diese Türen können wir andere Orte zu anderen Zeiten in anderen Welten erreichen. Das ist richtig.«
»Warum braucht ihr denn jemanden wie mich, um eure Welten zu retten? Wieso kehrt ihr nicht in die Vergangenheit zurück und ändert sie so, dass keine Gefahr mehr besteht? Von was für einer Gefahr sprechen wir überhaupt?«
Noch bevor der Archivar antworten konnte, bemerkte Tom die Schwachstelle seiner Argumentation. »Ah – das geht nicht. Ihr würdet die Gefahr beseitigen, ehe sie entsteht. Dadurch wüsstet ihr in der Gegenwart nichts davon, würdet nicht zurückkehren, wodurch sie doch entstünde. Richtig?«
Wieder wartete
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