323 - Die Hölle auf Erden
Kurosawa nahm seine Rolle ernst. Der Kommandeur der Chukogu-Regionalarmee hatte ihm aufgetragen, zwischen dem Gefangenen und dem Kompanieführer, einem Offizier namens Ejima Tôson, zu vermitteln.
»Orientiere dich«, forderte der Verhörspezialist den Bärtigen mit der grobporigen Haut auf. »Erkennst du Landmarken, an denen du die genaue Lage deines ehemaligen Unterschlupfes festmachen kannst?«
»Ich muss mich umsehen.«
Kurosawa blickte den Kompanieführer, der dem Gespräch beiwohnte, fragend an. Ejima Tôson nickte.
Grao/Hermon bewegte sich vorsichtig über das Geröllfeld. Seine Augen sondierten die Umgebung. Schließlich hielt er auf eine Baumkrone zu, die aus dem Schutt aufragte. Unmittelbar daneben waren Steine aufgeschichtet, als hätte schon vor ihnen jemand damit begonnen, die Geröllschicht abzutragen.
Nicht nur Kurosawa kam das verdächtig vor. »Hier?«, wandte er sich an den Gefangenen.
Der nickte, während sein Blick auf einem Ast ruhte, an dem ein eingeritztes Kreuz zu erkennen war.
»Und er behauptet, keine Komplizen zu haben?«, fragte Tôson den Professor scharf.
»Die Markierung habe ich selbst dort angebracht, noch vor dem Steinschlag«, sagte Hermon. »Um das Versteck leichter zu finden.«
Der Kompanieführer gab sich mit der Erklärung nicht zufrieden. »Ich verständige das Hauptquartier. Dort wird man wissen, was zu tun ist. Tadamichi Ariaga ist ein kluger und weitsichtiger Mann.«
Und du weißt, wie man Vorgesetzten Honig ums Maul schmiert , dachte Kurosawa, sagte aber nichts, sondern nickte nur. Er konnte es Tôson nicht verdenken, dass er um seine Karriere bemüht war; letztlich ging es ihm nicht anders.
Der Kompanieführer erteilte seinen Männern Weisung, das Lager aufzuschlagen. Kurz darauf wurde mit den Grabungen begonnen.
»Bislang hast du alles richtig gemacht«, wandte sich Kurosawa an den Gefangenen. »Sei weiterhin kooperativ, vielleicht rettet dir das den Hals.«
Hermon blickte ihn ausdruckslos an.
Etwas abseits der von ihm bezeichneten Stelle setzten er und Kurosawa sich in den Schatten des Kronengeästs und sahen den Soldaten dabei zu, wie sie mit missmutigen Gesichtern Steine schleppten.
Ich bin ein Glückskind , dachte Kurosawa und bezog es darauf, dass er sich die Hände nicht schmutzig machen musste.
In welcher Hinsicht er das Glück sonst noch gepachtet hatte, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
***
»Mahó! Kind! Ich bin so froh... Und Kaito? Junge, ich freue mich, dass du den Weg zu uns gefunden hast, aber...«, die Frau zeigte auf Matt und Xij, »wer um alles in der Welt ist das? Was wollen diese Leute hier?« Ihre Hand fand den Lichtschalter, nach dem sie getastet hatte, und eine Flurlampe flammte auf.
Matt ging nicht davon aus, dass das Mehr an Helligkeit Mahós und Kaitos Mutter beruhigen würde. Und wie erwartet erbleichte sie beim Anblick der beiden eindeutig ausländischen Besucher. »Sind das... Amerikaner? Was fällt euch ein, sie herzubringen? Euer Vater...«
Wie aufs Stichwort rief aus dem Hintergrund eine Männerstimme: »Miyu! Was ist da los? Ist Mahó wieder da?«
Schlurfende Schritte wurden laut. Die Frau verzog furchtsam das Gesicht.
»Lass mich mit ihm reden, ehrenwerte Mutter«, sagte Kaito und huschte an ihr vorbei, seinem Vater entgegen. Sie versuchte noch, ihn aufzuhalten, aber er wich geschickt aus, und wenig später hörte man ihn sprechen.
Indes winkte die Frau Mahó zu sich und presste das Mädchen wie schützend an sich. »Was ist mit deinen Knien passiert? Du bist verletzt!« Ihre Augen taxierten Matt und Xij scharf.
»Es ist nicht ihre Schuld«, verteidigte Mahó sie.
Irritation schlich sich in den Blick ihrer Mutter. »Wieso... wieso kannst du sie überhaupt sehen? Haben sie dir etwas angetan?« Ihre Finger strichen durch Mahós Haar. »Sprich mit mir, meine Sonne! Wer sind diese Fremden?« Sie stockte kurz, besann sich und wandte sich direkt an Matt. »Was wollen Sie in unserem Haus? Verstehen Sie mich? Noch einmal: Sind Sie Amerikaner?«
Matt lächelte freudlos. Was meint sie mit »Kannst du sie überhaupt sehen?«, ging es ihm durch den Kopf. Hing das mit Mahós sonderbarem Verhalten zusammen? »Was mich betrifft, kann ich das nicht leugnen«, beantwortete er ihre Frage, und der Translator verwandelte seine Worte in akzentfreies Japanisch. »Aber ich versichere Ihnen, wir haben Mahó nichts zuleide getan.«
»Sie sind also ein Feind«, machte Mahós Mutter ihn mit einer simplen Logik vertraut. »Und daher
Weitere Kostenlose Bücher