328 - Flucht aus dem Sanktuarium
Seeswanbullen zu führen – und fand sich plötzlich ganz allein vor dem riesigen Tier.
Das riss den Rachen auf, schnappte nach seinem Kopf, mahlte mit den Zähnen, als wollte es Graos Hirnschale zerbeißen. Es knirschte, es splitterte, und ein eisiger Schmerz schoss ihm durch den Körper. Und plötzlich wirbelte er durch Schneegestöber im antarktischen Eis, und die Kälte drängte mit frostiger Macht durch seine Ohren, seine Augen, durch Mund und Nase, bohrte sich tiefer und tiefer in sein Hirn.
Hier bin ich, raunte eine Stimme, lass mich hinein, gib dich mir hin...
Grao’sil’aana riss die Augen auf. Was war das? Säulengerade saß er plötzlich am Feuer. Wollte da jemand sein Bewusstsein entern? Er schüttelte sich, der Spuk verflog.
Über Dampf und Glut hinweg blinzelte er zu den Mädchen auf der anderen Seite des Feuers. Die äugten aus nassen Augen zu ihm herüber. »Alles in Ordnung?«, fragte er. Sie nickten; eines hielt das andere fest.
Ein Traum... Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Nur ein böser Traum . Früher hatte er nie geträumt.
»Wenn sie Mama wirklich eingesperrt haben, dann muss man ihr doch helfen, oder?« Mit einem erbarmungswürdigen Blick flehte Trudy zu ihrer großen Schwester hinauf. Die reagierte nicht.
»Wer sollte eure Mutter denn eingesperrt haben?« Grao’sil’aana konnte wieder klare Gedanken fassen.
»Weiß nicht.« Maggy zuckte mit den Schultern. »Es gab schließlich Streit.«
»Mit wem?«
»Mit anderen Erwachsenen aus dem Fort.«
»Sie ließ euch in der Wohnung zurück und ging hinunter ins Lager?« Der Daa’mure rief sich die Worte der Mädchen ins Gedächtnis zurück. Durch seine maßlose Erschöpfung war ihm die Hälfte entgangen und die Hitze der Brühe hatte ihm den Rest gegeben. »Was für ein Lager denn?«
»Mit so Sachen zum Schießen und Dinger bauen«, sagte die Kleine mit weinerlicher Stimme.
»Waffen, Geräte und Werkzeug halt«, erklärte Maggy. »Unsere Mutter wollte irgendwas bauen, mit dem wir vom Fort aus hinauf nach Clarktown fliegen können.«
Der Daa’mure horchte auf. Hinauf nach Clarktown? Das klang gut. Das klang nach einer Perspektive.
Grao betrachtete die beiden jungen Primärrassenvertreterinnen. Im Grunde hatte er genug von dieser Gattung, im Grunde konnte er ihre Vertreter nicht mehr sehen. Doch diese beiden drolligen Geschöpfe waren ihm wenigstens nicht unangenehm. Außerdem hatten sie ihm das Gefühl der Einsamkeit ein wenig vertrieben. Ein wenig Dank wäre ja nicht falsch, oder? Zumal er einen Vorteil daraus ziehen könnte.
»Nun, vielleicht habt ihr recht. Vielleicht braucht eure Mutter wirklich Hilfe.« Er stand auf. »Los, packt eure Sachen. Wir gehen ins Fort und schauen nach ihr.«
»Au ja!« Die Kleine strahlte und klatschte in die Hände.
»Danke, Grao!« Maggy sah ihn zärtlich an. »Du bist so lieb. Vielen, vielen Dank!«
***
Hinterland des Hope River, April 2528
Kurz nach Sonnenaufgang regte sich Leben bei den Baracken am Fluss. Die Türen der flachen Lehmhütten öffneten sich und die Bewohner traten heraus. Einige wankten müde zur Zisterne am Ende des Lagers, um sich zu erleichtern. Andere füllten Eimer und Schüsseln vor ihren Behausungen mit Wasser und begannen sich zu waschen.
Über dem Küchenhaus beim Eingang der Anlage kräuselten sich feine Rauchwölkchen. Während es im Rest des Lagers nach Kloake und Moder stank, duftete es hier nach frischgebackenem Fladenbrot und Coffey. Und als sich wenig später die knapp achtzig Bewohner hier ihr Frühstück abholten, vergaßen sie für eine Weile, dass sie Zwangsarbeiter waren. Vergaßen die bewachten Befestigungen, die sie von der Außenwelt trennten, die feuchten Baracken und die harten Bettlager, in denen sich Ungeziefer tummelte.
Was das Essen anging, sorgte der grausame Gouverneur Juliano Dorgecà gut für seine unfreiwilligen Plantagenarbeiter. Viele der Männer und Frauen, die hier ihr Leben fristeten, hatten nie zuvor so viel zu essen gehabt. Teilweise stammten sie aus den vergessenen Dörfern im Westen oder aus den Bergen. Einst waren sie nach Kingston gekommen, um zu betteln oder Handarbeiten wie geflochtene Körbe, Hüte oder Espandrillos auf dem Markt zu verkaufen. Doch Betteln war strengstens verboten, und ohne Erlaubnisschein des Gouverneurs durfte nicht gehandelt werden. Die Strafe dafür lautete Arbeitslager. Das wurde den armen Kreaturen erst klar, als sich die Tore hinter ihnen schlossen.
Es gab auch welche, die im Austausch für
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