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328 - Flucht aus dem Sanktuarium

328 - Flucht aus dem Sanktuarium

Titel: 328 - Flucht aus dem Sanktuarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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ihre älteren Angehörigen hier waren. Denn für die schwere Arbeit auf den Feldern und in der Verarbeitungshalle brauchte der Gouverneur kräftige, junge Chaymacaner. Keiner hier war älter als vierzig.
    Einige Bürger waren wegen Diebstahls, Betrug oder sonstigen Vergehen zur Zwangsarbeit verurteilt worden. So wie die junge Salma, die erst vor einigen Tagen eingetroffen war. Sie hatte dem Gouverneur bei einer Parade einen Kübel Fäkalien vor die Stiefel gegossen, ihn als gierigen Crodactusarsch tituliert und gefordert, man solle ihn im Hope River ersäufen, um dem Namen des Flusses Ehre zu machen.
    Als Salma nun mit ihrem Fladenbrot und einem dampfenden Coffeybecher das Küchenhaus verließ, war ihr dunkler Lockenschopf wie immer gespickt mit unzähligen Vogelfedern. Kriegsbemalung aus schwarzen Strichen und Blitzen verunstalteten ihr Gesicht. Ohren, Brauen, Nase und sogar ihr Bauchnabel waren mit Ringen und Nägeln gepierct. Schlangentätowierungen zierten Oberarme und Schenkel. Nur ein Hauch von Tuch umschlang ihre prallen Brüste, und der Lederfetzen, den sie um die Hüfte trug, bedeckte gerade mal eben ihr üppiges Gesäß.
    Ein zorniges Geschöpf mit verrückten Ideen. Schon am Tag ihrer Ankunft hatte die junge Frau versucht, Unruhe zu stiften. Wollte, dass alle die Arbeit verweigerten. Juliano Dorgecà an seiner empfindlichsten Stelle treffen , nannte sie das. Als ob die Leute hier nicht andere Probleme hatten. Sie wussten nichts von Dorgecàs empfindlichster Stelle. Sie wussten nur, dass sie schnell wieder in die Freiheit entlassen werden wollten und vor allem keinen Ärger mit den Carabineros haben wollten. Entsprechend hatten die meisten von ihnen der verrückten Chaymacanerin eine Abfuhr erteilt.
    Salma gab jedoch nicht auf. Morgens und abends hielt sie bei den Baracken Predigten über Recht und Freiheit. Selbst bei der Feldarbeit schloss sich ihr Mund nur selten. Sie behauptete gar, dass sie sich nur der Zwangsarbeiter wegen habe verhaften lassen.
    Während die Carabineros ihre Reden mit Spott bedachten, schüttelten die Brüder und Schwestern – wie Salma die Lagerbewohner nannte – nur noch fassungslos den Kopf. Soweit es der begrenzte Lebensraum erlaubte, gingen sie ihr inzwischen aus dem Weg. Doch heute Morgen war das nicht nötig. Weder verschwendete die verrückte Frau ein Wort noch einen Blick an die Leute. Hoch erhobenen Hauptes schritt sie mit ihrem Frühstück an den Hütten vorbei. Hatte sie die Nase voll von ihren Brüdern und Schwestern? Oder wollte sie sich gar endlich in ihr Schicksal fügen? Möglicherweise hatten die Carabineros sie ja bedroht und ihr Angst gemacht. So rätselten viele der Lagerbewohner.
    Doch sie irrten sich alle. Es gab fast gar nichts, wovor die junge Chaymacanerin sich fürchtete. Sie hatte es einfach nur eilig: Nach dem Aufstehen hatte sie auf ihrem Weg zur Zisterne den dürren Pablo gesehen. Auf der anderen Seite des Zaunes beim Flussufer war der weißhaarige Rastaff damit beschäftigt gewesen, mit einigen Lagerwachen zu verhandeln. Salma war überzeugt davon, dass er wegen ihr hier war. Sicher brachte er endlich Nachricht von ihrem geliebten Pedró.
    Sie sollte recht behalten. Als sie nun die Zisterne passierte, erblickte sie den Alten auf der anderen Seite des Zaunes. Mit breitem Grinsen winkte er ihr zu. »Na, Salma, wie geht es dir?«
    »Oh, es könnte schlechter gehen.« Sie rannte die letzten Meter, begrüßte Pablo und setzte sich ihm gegenüber auf die Erde. Sofort fragte sie nach Pedró. Doch zunächst ließ der Weißhaarige sie wissen, dass er die Carabineros mit Ganja bestochen hatte und ihnen nicht viel Zeit zum Reden blieb. »Gerade mal so lange, bis das Kraut in den Pfeifchen verbrannt ist.«
    Während Salma dem Alten durch die Eisenmaschen ein Stück Brot reichte, warf sie einen missmutigen Blick auf die Wächter, die es sich mit ihren Doggerillos, den schweinegroßen Bluthunden, im Ufergras bequem gemacht hatten. »Ich hoffe, du hast ihnen ein wenig Brechwurz untergemischt.«
    Pablo kicherte. Dann wurden seine Gesichtszüge wieder ernst. »Pedró und Carlos haben uns überzeugt, über die Berge nach Norden zu fliehen.« Zufrieden registrierte der Alte das breite Lächeln im Gesicht der jungen Chaymacanerin. Sie wusste über die finsteren Absichten des Gouverneurs Bescheid. Auch den Plan, die Zwangsarbeiter zu befreien, kannte sie. Nur das Wann und Wie musste er ihr auseinandersetzen. »In der kommenden Nacht soll die Befreiungsaktion starten.

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