33 - Am Stillen Ozean
Höflichkeit zu erwidern. Ohne Khata hat das kostbarste Geschenk keinen Wert, liegt aber eine Khata dabei, so gewinnt die einfachste Sache, der geringfügigste Gegenstand an Bedeutung. Einem Bittenden seinen Wunsch abschlagen, wenn er eine Khata beifügt, würde gegen alle Sitte und Höflichkeit verstoßen.
Wir brachen auf. Gegenwärtig befanden wir uns auf mandschurischem Gebiet; hinter der Mauer aber hören die Ortschaften auf, und obgleich die Steppe zur Mandschurei gerechnet wird, durchstreift sie der Mongole ebenso frei wie der Mandschu.
Ich hatte bereits in meinen Knabenjahren von dem ‚Wunderwerk‘ der chinesischen Mauer Schilderungen gelesen; ich sah mich aber leider enttäuscht, als wir sie am anderen Tag erreichten, denn was ich von ihr erblickte, war nur ein wüster Schutthaufen, von welchem aus einzelne Steinbrocken nach hier und dort in die Ferne verliefen. Ich lernte sie gerade an einer Stelle kennen, wo sie aufgehört hat, als Mauer zu existieren. Meine beiden Begleiter ließen ihre Pferde über die Trümmer stolpern, ohne ein Wort über das berühmte Bauwerk zu verlieren.
Gegend Abend machten wir bei einer Herde halt, welche aus Pferden, Ochsen, Eseln und Schafen bestand und von Hirten getrieben wurde, die unter dem Befehl eines Lama standen. Dieser war soeben im Begriff, die Herde lagern zu lassen.
„Men-du, mein Herr Lama“, grüßte ihn Schangü.
„A-mor, mein Herr Bruder“, antwortete der andere. „Beliebt es euch nicht, Rast zu machen und diese Nacht bei mir zu bleiben?“
„Wenn du es erlaubst, so tun wir es.“
„Ihr seid mir willkommen.“
Er ließ uns schnupfen, wir ihn ebenfalls; somit war allen Formalitäten genügt, und wir konnten absteigen.
Die Herde bot einen wunderlichen Anblick dar. Zwischen den Hörnern der Stiere, auf dem Rücken der Pferde und an den Schwänzen der Schafe waren papierne Windmühlen angebracht, welche die buddhistische Formel ‚Om, mani padme hum‘ trugen und entweder vom Wind oder dem Gang der Tiere in immerwährender Bewegung erhalten werden. Diese Tschü-kor oder Gebetmühlen findet man in den buddhistischen Ländern allenthalben, besonders an Flüssen und Bächen in großer Menge. Vom Wasser in Bewegung gesetzt, beten sie zu Gunsten ihres Errichters Tag und Nacht. Auch in der Luft und auf dem Ofen werden sie angebracht; im letzteren Fall treibt sie die Wärme. Ihr Besitzer braucht nie selbst zu beten und kann sie sogar zu Gunsten eines anderen beten lassen.
Diese Tschü-kor mußten den Tieren abgenommen werden, ehe sie sich lagerten, was eine zeitraubende und schwierige Arbeit verursachte. Endlich saßen wir vereint am Feuer, welches mittels gesammelter Argols (getrockneter Dung) genährt wurde, und tranken unseren Ziegeltee. Jetzt erst hatte der fremde Lama Zeit, sich um unsere Verhältnisse zu bekümmern.
„Wo kommst du her?“ fragte er Schangü.
„Aus Mukden.“
„Das ist weise von dir, daß du diese heilige Stadt besucht hast! Und wo willst du hin?“
„Nach Bokte-oola.“
„Und diese Männer auch?“
„Ja.“
„So wollt ihr den großen Heiligen sehen, dessen Diener und Schabi ich bin?“
„Du bist sein Schabi?“
„Sein Schabi und sein Gesandter. Ich habe die Länder diesseits der Berge bereist, um für ihn und das neue Kloster einzusammeln. Das ist die fünfte Herde, welche ich beisammen habe, und ich führe sie nach Ki-rin, um mir Barren für die Tiere geben zu lassen. Ihre Gebete kommen dann ihrem Käufer zugute.“
„Wer bekommt die Barren?“ fragte ich.
„Der Heilige. Er verwahrt sie in seiner Padma, und wenn er genug hat, wird der Bau des Klosters beginnen.“
„Was ist diese Padma?“
„Die Höhle, welche er bewohnt, und seit dreißig Jahren ist er aus derselben nicht weggekommen.“
„Bist du der einzige, der für ihn sammelt?“
„Nein. Es wird gesammelt unter den Kitat, in der Wüste und in allen Ländern der Erde, wo man Buddha verehrt. Der Bau kann nun bald beginnen.“
„Wie weit hat man von hiernach Bokte-oola?“
„In drei Tagen werdet ihr dort sein und den Heiligen verehren und seine Schüler sein.“
„Ich bin Schüler des Heiligen von Kuren“, meinte Schangü stolz. „Ich bedarf keines zweiten Lehrers.“
„So werde du sein Schüler!“ wandte sich der Sammler an mich.
„Auch ich habe bereits einen Lehrer. Er ist größer als alle die Heiligen und Schaberonen, zu denen ihr betet.“
„Wie heißt er?“
„Jesus.“
„Je-sus? Den kenne ich nicht und habe doch alle Bücher
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