33 - Am Stillen Ozean
Auskunft zu erteilen. Der Vorgang war genauso wie gestern verlaufen. Erst hatte sich der Wind erhoben, und dann war der Geist erschienen, dessen Gestalt aber nicht zu erkennen gewesen war und also auch nicht beschrieben werden konnte.
„War es denn wirklich ein Wind?“ fragte ich.
„Oh, ein sehr plötzlicher“, antwortete der Lieutenant.
„Habt Ihr ihn gefühlt?“
„Sehr.“
„Woher kam der Geist?“
„Das weiß ich nicht; er war da.“
„Und wohin ging er?“
„Das kann ich nicht sagen; er war fort.“
„Saht ihr denn, daß er sich bewegte?“
„Ja.“
„So müßt ihr doch wissen, an welcher Stelle oder an welchen Stellen des Schiffes er sich befunden hat!“
„Er kam bis zum Mittelmast.“
„Aus welcher Richtung?“
„Das habe ich nicht gesehen.“
„Ihr habt die Augen nicht offen gehabt, oder die Angst hat sie euch verdunkelt. Wir werden mit dir gehen, um diese Gespenstergeschichte noch einmal zu untersuchen.“
Wir taten es, aber die Untersuchung führte zu keinem Resultat. Wir fanden alles genauso wie gestern. Am Mittelmast, bis wohin der ‚Geist‘ gekommen sein sollte, standen mehrere Körbe mit Melonen und sonstigen Früchten, welche bestimmt gewesen waren, von den Girl-Robbers gegessen zu werden. Ich betrachtete diese Körbe und fand keinen Grund, sie mit dem Spuk in Beziehung zu bringen. Ich ärgerte mich, nicht etwa über das Gespenst oder über die Dummheit der Singhalesen, sondern über mich selbst. Was für schwierige Fragen hatte ich schon beantwortet, welche Spuren gefunden und verfolgt! Und hier wollte mir kein einziger Gedanke kommen! O, Kara Ben Nemsi, oh, Old Shatterhand, wo ist dein Scharfsinn, wo ist dein Scharfblick hin!
Als wir uns von dem Mudellier getrennt hatten und wieder allein beisammen saßen, sah Raffley mich pfiffig lächelnd an und sagte:
„Charley, ich bemitleide Euch.“
„Warum?“
„Das Gespenst ist vom Schiff fort und geht nun in Euerm Kopf um. Ich denke, Ihr werdet bald den großen, plötzlichen Wind verspüren.“
„Spottet immer! Es ist wirklich ärgerlich, einer solchen Albernheit nicht auf die Spur kommen zu können.“
„Nicht? Hm! Wirklich nicht?“
„Na, habt Ihr vielleicht einen Gedanken, Sir?“
„Yes, und was für einen!“
„Nun, welchen?“
„Das Gespenst kommt vom Land her.“
„Und ich behaupte, daß es sich im Innern der Dschunke befindet.“
„Unsinn! Wollen wir wetten?“
„Nein.“
„Ich setze hundert Guineen, daß ich recht habe. Man will die Chinesen befreien, und man spielt zu diesem Zweck Gespenst, um den Wächtern Furcht einzujagen. Meint Ihr nicht auch?“
„Nein.“
„So setzt zehn Goldstücke gegen meine hundert?“
„Ich habe keine Goldstücke zum Wetten.“
„Ich borge sie Euch!“
„Danke. Das Gespenst ist nicht wert, daß man seinetwegen auch nur einen Schilling riskiert. Heute abend wird es gefangen.“
„Wa – wa – wa – was?“ fuhr der Englishman auf. „Wer will es fangen?“
„Ich.“
„Ihr wollt auf die Dschunke?“
„Ja.“
„Doch nicht allein?“
„Wollt Ihr mit, Sir?“
„Natürlich, natürlich! Mit geküßten Fingerspitzen! Ein Gespenst fangen! Charley, Ihr seid wirklich kein unebener Kerl. Schade, daß Ihr niemals wetten wollt! Ich wollte, Ihr wäret auf Raffley-Castle geboren worden!“
„Als Euer ältester Bruder? Wie stände es da mit Eurem Titel und Erbe?“
„Ich brauchte beides nicht. Ich lebte von der Gespensterjagd.“
„Das läßt sich hören; es soll zuweilen sehr fette und sehr nahrhafte Gespenster geben. Bin neugierig, wie schwer das heutige wiegen wird.“
„Wind – Luft – kein Gewicht!“
„Wind? Nicht die Spur davon, Sir. Der Wind existiert nur in der Einbildung dieser furchtsamen Singhalesen. Dieses Gespenst ist entweder irgendein Tier oder ein – – –“
„Oder“, fiel er mir in die Rede, „oder ein Mensch, der die Wächter ins Bockshorn jagen und dann die Dschunke besteigen will, um die Chinesen zu befreien.“
„Das glaube ich nicht. Derjenige, welcher die Rolle des Gespenstes spielt, befindet sich an Bord.“
„Beweis!“
„Den Beweis werde ich heut abend liefern. Der Spuk ist am Mittelmast gesehen worden. Wäre er von außen an Bord gestiegen, würde er sich nicht damit begnügen, nur bis an diese Stelle zu gehen.“
„Das ist allerdings wahr. Aber, Charley, da kommt mir ein Gedanke! Vielleicht ist die ganze Geschichte nur ein dummer Witz.“
„Wieso?“
„Es hat sich unter den Soldaten
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