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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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den Arm: »Und dein Herz, wo ist das noch mal?«
    Als sie später nebeneinanderlagen, bekam sie plötzlich Angst. Angst davor, sich einzulassen, sich nicht einzulassen. Angst davor, wieder allein zu sein, nicht mehr allein zu sein. Sie drehte sich weg.
    »Was ist denn?«, fragte er sanft.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie.
    »Hab ich dir irgendwie…?«
    Sie unterbrach ihn: »Nein, nein, ich weiß auch nicht.« Hatte er ihr irgendwie? »Mein Blues ist hartnäckig, und er kommt meist ohne Vorankündigung.«
    »Und was ist los?«, fragte er. »Willst du mir das erzählen?«
    Ich weiß nicht, dachte sie, ich weiß es ja selbst nicht.
    Er streichelte nun wieder ihre Kopfhaut: »Sitzt es hier?«
    Ella konnte nicht antworten. Wie sollte sie von ihrer Angst erzählen, wenn die Kopfhaut knisterte?
    Sie drehte sich weg.
    Paul stand auf und ging ans Fenster.
    Bei jedem anderen Mann wäre das jetzt genau der Punkt, an dem sie sich verschanzt hätte in ihrer Mutlosigkeit, in der Gewissheit, dass sie sowieso allein war, egal wie schön es gerade noch gewesen sein mochte. Doch Paul stand mit dem Rücken zu ihr vor den grünen Vorhängen ihres Schlafzimmers und wirkte so ruhig, als schreckte sie ihn nicht, als bräuchte sie keinen Mut, um genau in dieser Situation einmal anders zu reagieren.
    Das Licht auf dem Nachttisch brannte.
    Und als wäre es nichts, als stellte es nicht alle Reaktionsmuster auf den Kopf, die ihr je zur Verfügung gestanden hatten, erhob sie sich, ging die paar Schritte zu ihm, schmiegte sich von hinten an ihn und küsste seinen Nacken.
    »Hier?«, fragte sie.
    »Genau da«, sagte er und schaute sie mit einem Blick an, der nur eines bedeuten konnte: Alles, was Paul gerade tat, tat er mit zittrigen Knien und ohne mit der Wimper zu zucken. Konnte es wahr sein, dass sie jemanden gefunden hatte, der ihr Halt geben konnte, ohne sie festzunageln?
    Als Paul wieder gegangen war, wurde Ella plötzlich ganz müde. Sie erinnerte sich nicht, wann sie das letzte Mal so zuversichtlich gewesen war. Sie legte sich aufs Sofa, blätterte noch ein bisschen in der Biographie über Dorothy Parker You might as well live und schloss die Augen. You might as well live , dachte Ella, bevor sie einnickte, vielleicht war das möglich.
    Kurze Zeit später klingelte das Telefon. Ella setzte sich auf, gähnte und ging dran.
    »Hallo, Ella!«
    »Hallo«, sagte sie leise und lächelte.
    Horowitz, wie schön.
    »Hab ich Sie geweckt?«
    »Ja.«
    »Soll ich später noch mal anrufen?«
    »Warum?«
    »Ich habe ein kleines Geschenk für Sie«, sagte er.
    »Nicht die Elefantenhautlampe«, sagte sie und gähnte noch einmal.
    »Ella! Ich habe Ihnen schon versprochen, das alles aus Ihrem Schmetterlingsblickfeld zu entfernen.«
    »Gut«, sagte sie, »ich sah schon den Kurier mit halb Simbabwe bei mir eintrudeln.«
    »Ich habe jemanden für Sie gefunden. Eine Frau, über die Sie schreiben sollten. Kennen Sie Amy Lovell?«
    »Die Eiskunstläuferin?«
    »Eine Eiskunstläuferin? Wie kann in einem Menschen so viel Widersprüchliches sein? In welchem Gehirn sitzen direkt neben Pianisten Eiskunstläuferinnen? Sie sind ein Phänomen!«
    »Ein müdes Phänomen«, sagte sie.
    »Haben Sie letzte Nacht so schlecht geschlafen?«
    »Gar nicht«, sagte sie, »ich habe gar nicht geschlafen.«
    »Ich will es nicht wissen, Ella, ich will es nicht wissen«, sagte er.
    »Amy wie?«, fragte Ella.
    »Amy Lovell, die Dichterin. Hören Sie mal: Sie saß in einem chinesischen Flechtstuhl / Weit ausladend wie ein aufgeschlagener Pfauenschweif / Und spielte mit eines jungen Mannes Herz, welches sie leicht in ihren Fingern hielt. / Sie klopfte es sachte, / Hielt es hoch in die Sonne und schaute hindurch, / Fädelte es an eine Kette aus Zuchtperlen und schnürte es um ihren Hals, / Warf es in die Luft und fing es auf, / Sicher und geschickt, als wäre es ein Ball.«
    »Sie klopfte es sachte?«, fragte Ella und musste schon wieder gähnen.
    Horowitz machte eine Pause und seufzte. »Erzählen Sie den verwahrlosten Berlinern im Radio doch mal was über Amy. Sie war auch so eine Wanda, so eine Granate, meine ich. Ezra Pound nannte sie Hippopoetess, weil sie so gewaltig war. Eine fette, gewaltige, großartige Frau. Erzählen Sie von ihr mit Ihrer tollen rauhen Stimme, und die Berliner werden aus dem Häuschen sein.«
    Ella nickte.
    »Haben Sie genickt?«
    Sie nickte noch einmal.
    »Sie haben genickt. Ich verschlage Ihnen die Sprache…«
    »Ich bin müde.«
    »Und ich muss jetzt Simbabwe

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