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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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leise, wie zu sich selbst.
    Horowitz schaute sie fragend an.
    »Schwefel in Gold verwandeln, sie kann es noch.«
    Ein paar Tage danach kauften Horowitz und Sibylle bei einem Gebrauchtwagenhändler am Stadtrand von Berlin einen alten, silbernen Wagen. Sibylle verriet Horowitz nicht, dass sie seit Jahren nicht mehr Auto gefahren war, sondern packte ihre Sachen. Dann brachen sie nach Portugal auf, mit Horowitz’ Unterlagen im Kofferraum.
    Sie fuhren von Berlin über Luxemburg, die Schweiz, Frankreich und Spanien. Die spanischen Landgasthäuser gefielen ihnen am besten. Sie hielten in kleinen Dörfern, bestellten Tapas, aßen diese im Stehen, warfen ihre zerknüllten Servietten und Zahnstocher zu den anderen zerknüllten Servietten und Zahnstocher auf den Boden, spielten Flipper, tranken Rioja und spanischen Kaffee.
    Abends, wenn sie ihre Gastzimmer bezogen hatten, falteten sie die Europakarte auseinander, schauten, wie weit sie gekommen waren, und maßen mit den Fingern die Strecke ab, die sie am nächsten Tag zurücklegen wollten. Und an jedem Morgen fuhren sie nach einem kurzen Frühstück mit süßem, puddinggefülltem Gebäck weiter. Zwischendurch stand Horowitz an einer Tanksäule, in einer Bar oder dem Bad eines Gastzimmers und hielt den Atem an.
    Horowitz lotste Sibylle mit der Karte und alten Reiseführern auf den Knien zu Sehenswürdigkeiten, die auf der Strecke lagen. Und so setzten sie das gemeinsame Leben fort, das im Sommer in Berlin begonnen hatte, ohne dass sie sich je dafür entschieden hätten oder hätten entscheiden müssen. Zu Beginn der Reise hatte Horowitz noch gedacht, sie müssten wenigstens mal darüber reden, wie das alles weitergehen sollte, aber jedes Mal, wenn er ansetzte, lenkte Sibylle das Gespräch in eine andere Richtung. Und wahrscheinlich hatte sie in ihrer stummen Beharrlichkeit recht: Was gab es da zu besprechen?
    Jetzt waren sie noch über hundert Kilometer von Lissabon entfernt, und es begann zu nieseln und zu dämmern. Die portugiesische Landschaft wurde langsam grobkörnig. Die knorrigen Bäume auf den Feldern bekamen etwas Märchenhaftes, und die kleinen Siedlungen, durch die sie hindurchfuhren, hatten ihre Neonbeleuchtung und Lichterketten angeschaltet. Überall bunt leuchtende Sterne, Weihnachtsmänner, Schlitten und Engel. Pinien standen, mit elektrischen Kerzen geschmückt, blinkend in den Vorgärten, und auf einigen Dorfplätzen bereiteten die Menschen große Lagerfeuer vor. Es war der Abend vor Weihnachten.
    Horowitz und Sibylle waren den ganzen Tag gefahren. Sie hatten sich Proviant in einer Bäckerei besorgt, in der die junge Bäckerin eine plüschige Weihnachtsmannmütze getragen und unablässig mit Zimt bestreute Weißbrotscheiben verkauft hatte. Sie tranken ihre Kaffees und stiegen dann gleich wieder ein. Morgen wollten sie in Lissabon aufwachen. Horowitz schmerzte der Rücken, er rutschte auf dem Sitz hin und her und wurde langsam müde. Also legte er sich eine Jacke über und versuchte immer mal wieder die Augen zu schließen. Dass man mit Sibylle auch schweigen konnte, hatte er anfangs nicht gedacht, aber man konnte es sogar ausnehmend gut. Es war eines jener Schweigen, das Nähe schafft.
    Horowitz schaute zu Sibylle hinüber, die zwischen den schwer arbeitenden Scheibenwischern hindurch auf die glänzend schwarze Straße blinzelte. Die Niederschläge wurden stärker, der Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe und floh in dünnen Rinnsalen die Seitenfenster entlang. Horowitz breitete seine Jacke wie eine Decke über seinen Körper, sank tiefer in den Sitz hinein und schloss die Augen.
    Sibylle verlangsamte das Tempo nicht. Wenn sie das Tempo nicht hielten, dann kämen sie heute nicht mehr in Lissabon an; nur wurde das Fahren zunehmend anstrengender, und nichts sprach wirklich dagegen, heute noch irgendwo einzukehren und morgen früh den Rest der Strecke zurückzulegen. Doch sie konnte Horowitz nicht fragen, denn er war gerade neben ihr eingenickt. Sie fuhr also weiter und beschloss, anzuhalten und eine Pause zu machen, sobald er wieder aufgewacht war.
    Sie hielt das Steuerrad nun fest in beiden Händen. Die Landstraße war spärlich beleuchtet, und es war kaum jemand unterwegs. Sie dachte an Ella und Jasmin, die nun beide in Berlin mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt sein mussten; sie dachte daran, dass Ella wahrscheinlich ziemlich einsam war mit diesem Paul, der viel zu schwach für sie war, auch wenn er gut aussah und scheinbar doch mit einer Frau wie

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