34° Ost
wandte sich der Kamera zu. Es war als blicke er Rostow aus nächster Nähe ins Gesicht.
»Genosse Rostow, sehen Sie mich gut?« fragte er.
»Ich kann Sie gut sehen und hören«, antwortete Rostow. Er hatte Morosow nie besonders leiden mögen. Diese Abneigung richtete sich nicht direkt gegen die Person, denn dazu kannte er den jungen Marschall zuwenig. Aber seit Jahren, während jeder von ihnen für sich seinen Weg in der sowjetischen Hierarchie gemacht hatte, waren sie immer wieder wegen Prioritätsfragen aneinander geraten. Morosow waren Raketen wichtiger als TV-Geräte, während Rostows Bestreben dahin ging, das Volk im Zustand gelassenen, fügsamen Gehorsams zu halten.
»Der Ministerpräsident wird sofort mit Ihnen sprechen, Genosse Rostow. Aber zuerst möchte ich Ihnen die militärische Lage erklären«, sagte der Marschall.
»Bitte.«
Wie die gegebene Situation auch sein mochte, Morosow würde sie in den schwärzesten Farben malen. Seit Jahren hatte er seine ganze Kraft für den Ausbau der Sowjetarmee und der strategischen Raketenwaffe eingesetzt, mit dem ausdrücklichen Ziel, dem Vaterland einen nuklearen Vorsprung zu sichern. Oft hatte er die Vorgänge in Korea, Vietnam, Kuba und in der Dominikanischen Republik als eindeutige Beweise für die imperialistischen Absichten der USA angeführt. Die Vereinbarungen der ersten und der zweiten SALT-Runde waren über seinen Kopf hinweg unterzeichnet worden, und im Politbüro trat er als profiliertester Gegner einer sowjetisch-amerikanischen Zusammenarbeit in der Friedenszone auf.
»Zunächst«, sagte Morosow, »eine allgemeine Übersicht.«
»Kommen Sie zur Sache«, warf Rostow ungeduldig ein.
»Die Amerikaner geben vor, sie würden glauben, dass wir auf irgendeine Art beim tödlichen Unfall ihres Präsidenten und bei der Entführung Talcott Baileys die Hand im Spiel hatten.« Er machte eine Pause, als erwarte er einen Widerspruch Rostows auf diese Feststellung. Als sich Rostow nicht äußerte, fuhr er fort: »Die Amerikaner haben natürlich noch keine konkreten Beschuldigungen erhoben, und möglicherweise werden sie es auch nicht tun.« Seine Augen waren von einem kalten Hellblau, und Rostow versuchte sich zu erinnern, ob sie immer so unmenschlich gewirkt hatten. Vielleicht lag es an der Farbübertragung, dass Marschall Morosow eher wie ein Teil der Elektronik erschien als ein Wesen aus Fleisch und Blut.
»Unsere Bewertungsgruppen sind jetzt damit beschäftigt, die Absichten der USA zu berechnen. Aber ich persönlich glaube, dass man dazu keine Wissenschaftler zu konsultieren braucht. Die Amerikaner glauben, dass sie endlich den Vorwurf haben, den sie sich immer wünschten, und jetzt bereiten sie sich auf den Angriff gegen uns vor.«
Rostow spürte einen Bleiklumpen in der Magengegend. »Sie ziehen voreilige Schlüsse, Genosse«, sagte er.
»Das bezweifle ich. Es steht Ihnen natürlich frei, sich Ihre eigene Meinung über die militärische Lage zu bilden.« Die sarkastische Spitze war nicht zu überhören. Rostow wußte nur zu gut, was Morosow und dessen engste Umgebung im Verteidigungsministerium vom Einsatz des jetzigen Stellvertretenden Ministerpräsidenten als Politkommissar während des Großen Vaterländischen Krieges hielten.
Morosow sagte: »Die Amerikaner haben drei unserer Atom-U-Boote gestellt, die auf Routinepatrouille vor ihrer Küste kreuzen, und Abfangjäger über dem Beringmeer ausgeschickt. Wir haben ihren heutigen Kriegskode noch nicht entschlüsselt, aber die Computer sind bereits damit gefüttert. Sie haben ihre Minuteman-Verbände in Alarmbereitschaft versetzt, und bei der Sechsten Flotte wird über den Flugzeugträgern kriegsmäßige Sicherung geflogen. Wenn das keine Anstalten für den Erstschlag sind, dann möchte ich von Ihnen, Genosse Rostow, gern hören, was es sonst sein könnte.«
»Unter den gegebenen Umständen ist es nur begreiflich, dass die Amerikaner nervös werden.«
»Ist es auch begreiflich, dass die amerikanische Presse die übelsten Lügen über uns veröffentlicht? Dass sie uns des Komplotts mit arabischen Banditen und Mördern bezichtigt?«
Rostow sagte langsam: »Genosse Marschall, ich habe gehört, dass das GRU es fertig gebracht hat, auf einigen Kosmos-Fotos das deutlich erkennbare Bild eines Abenteurers namens Enver Leč zu übersehen.«
»Wir waren in großer Eile«, sagte Morosow gereizt, »weil wir das Material so rasch als möglich weitergeben wollten, um den amerikanischen Kriegshetzern zu beweisen,
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