35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Weib, die einzige Seele, welche mich verstand und mit mir litt. Sie war infolge der fortgesetzten Leiden und Aufregungen in ein schweres Nervenfieber gefallen, und ich hatte alles, alles von ihrem Krankenlager fernzuhalten, wenn ich die Hoffnung hegen wollte, ihr das Leben retten zu können. Da kam noch ein dänischer Militärarzt nebst Diener, welcher bei mir Quartier verlangte. Ich bewies ihm, daß kein Platz mehr sei; ich bat und flehte, umsonst! Er untersuchte meine Frau und erklärte, daß sie die Krankheit nur simuliere. Ich schickte nach dem Stabsarzt, um dessen Entscheidung zu erbitten, und wurde dann in die Apotheke gerufen, wo ich längere Zeit unausgesetzt beschäftigt war, daß ich unmöglich nach meiner Frau sehen konnte. Endlich war ich fertig und durfte Atem holen. Als ich in den Flur kam, hörte ich vom Hof her ein leises Wimmern, und ich trat hinaus in den Hof. Dort lag der Schnee fußhoch, und eine grimmige Kälte ließ den Atem fast zu Eis erstarren. Da draußen fand ich meine Frau. Sie lag auf der alten Decke, auf welcher der Kettenhund zu sitzen pflegte. In ihre Betten hatten sich die Soldaten geteilt. Ich zog meinen Rock aus, warf ihn über sie und wollte fort, hinauf, um zu sehen, wer Besitz von ihrer Stube genommen habe. Sie konnte nicht sprechen, meine Fragen nicht beantworten; aber als sie sah, daß ich mich entfernen wollte, legte sie die Arme um mich. So blieb ich noch einige Minuten bei ihr, bis ich fühlte, daß ich eine Leiche an meiner Brust hatte.“
Der Alte schwieg. Er stand auf und schritt eine Weile hin und her, um Herr seiner Bewegung zu werden. Dann fuhr er fort:
„Es wäre unnütz, Ihnen zu sagen, was ich fühlte. Ich befand mich in einem Zustand, welcher eine Mischung von kochendem Grimm und Verzweiflung war. Ich sprang die Treppe hinauf, riß die Tür auf und sah den Arzt auf dem Sofa liegen, die schmutzigen Stiefel an den Beinen und meinen vollen Zigarrenkasten auf dem Tisch. Was ich gesagt habe, weiß ich nicht; viel wird es nicht gewesen sein, denn die Wut machte mir das Sprechen schwer. Er sprang auf, versetzte mir einen Faustschlag in das Gesicht, daß es mir dunkel vor den Augen wurde, schob die Tür auf und gab mir einen Stoß, daß ich die Treppe hinabstürzte. Oben blieb er stehen und lachte mich aus. Da verlor ich den letzten Rest von Besinnung. Ich schoß förmlich die Stufen wieder hinauf. Was ich wollte, das wußte ich nicht; aber ich sah, daß er den Degen zog. Ich griff schnell zu, entriß ihm die Waffe und rannte sie ihm durch den Leib. Als er lautlos niederstürzte, wollte mir das Blut stillstehen. Ein Glück, die Soldaten waren jetzt nicht da. Ich raffte einiges Geld zusammen, stürzte in den Hof, nahm die Tote in die Arme und trug sie zu der Scheuerfrau, welche zuweilen von uns beschäftigt wurde, gab ihr Geld und bat sie, für das Begräbnis zu sorgen. Dann entfloh ich.“
Die Art, wie er erzählte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Die Worte flossen ihm schnell, aber abgerissen über die Lippen. Er starrte in die Ecke, als ob er das, was er erzählte, noch einmal erlebe, als ob er sein eigener Zeuge und Zuschauer sei. Wir unterbrachen ihn nicht. Er fuhr fort:
„Im Wald habe ich gesteckt, drei Tage lang. Von Vorübergehenden hörte ich die Tat erzählen. Das Militär war aufgeboten, mich zu suchen und zu ergreifen. Am dritten Tag, des Nachts, wagte ich mich nach dem Kirchhof. Ich fand das Grab. Es war seicht und kaum zugeworfen. Man hatte mein Weib eingescharrt wie eine Verbrecherin, eine Selbstmörderin. Ich betete, kam aber mit dem Gebet nicht zu Ende. Man hatte vermutet, daß ich kommen werde, um das Grab zu sehen, und einen Posten an den Kirchhof gestellt. Dieser sah und schoß auf mich, traf mich aber nicht. Ich floh, und es glückte mir, zu entkommen. In meiner Heimat suchte ich einen Freund auf, von dem ich wußte, daß er mich nicht verraten werde. Er gab mir die Mittel, nach Amerika zu gehen.“
Er machte jetzt wieder eine Pause, und so fragte ich:
„Hatten Sie keine Verwandten oder Kinder?“
„Nein, und das war ein großes Glück. Aber der von mir ermordete Militärarzt war Vater von vier Kindern und hatte außerdem seinen Vater und eine Schwiegermutter zu ernähren.“
„Das wußten Sie?“
„Nein. Ich erfuhr es während meiner Flucht. Ich las es in einer Zeitung, in welcher auch mein Steckbrief stand.“
„Das also ist die Tat, die Sie so sehr bereuen?“
„Ja, das ist sie!“
„Haben Sie sich denn nicht gesagt, daß
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