35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Sie kennen doch diesen Keller, in welchem wir die Aripones stecken hatten.“
„Freilich!“
„Kann da ein Gefangener der Mbocovis sich dort befinden?“
„Hm!“
„Sehen Sie denn nicht ein, warum der Häuptling Ihnen gerade diesen Bären aufgebunden hat? Er weiß, daß der Sendador mit den zahlreichen Mbocovis jetzt von dorther kommt. Diesen Leuten will er uns in die Hände treiben.“
„Alle Wetter!“
„Nun sagen Sie Ihrem lieben Häuptling, daß er sich verrechnet hat!“
„Das werde ich ihm freilich sagen, und zwar nicht in der höflichsten Weise.“ Er wandte sich wieder zu dem Roten, sprach in zornigem Ton zu ihm und versetzte ihm sogar einen derben Fußtritt.
Von da begaben wir uns in eines der vorderen Zimmer, in welchem Unica für uns das Frühstück serviert hatte. Es bestand aus gebratenem Fleisch und neubackenen Maisfladen. Der Desierto setzte sich zu uns, aß aber nicht mit. Als ich ihn nach der Ursache fragte, antwortete er:
„Ich esse täglich höchstens einmal, hungere aber oft mehrere Tage lang. Ja, es gibt jährlich eine Zeit, in welcher ich zwei Wochen lang keinen Bissen zu mir nehme und mich nur vom Wasser erhalte.“
„Warum aber das?“
„Zur Strafe.“
Ich hatte diese oder doch eine ähnliche Antwort erwartet und entgegnete:
„Haben Sie denn das Recht, sich eine solche Strafe aufzuerlegen?“
„Nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht. Es kann keine Strafe streng genug für mich sein! Sie wissen eben nicht, welch ein schweres Verbrechen auf meinem Gewissen lastet. Sie werden von der Ausstattung des vordersten Zimmers sehr überrascht gewesen sein. Das ist meine Büß- und Strafstube. Da hungere und durste ich, da friere ich und geißele mich. Meine Tat ist eine schwere; Sie können sie nicht erraten.“
„Nicht? Ich glaube, daß Sie ein Mörder sind.“
„Gott!“ rief er aus. „Wer hat Ihnen das gesagt?“
„Mein Auge, mein Verstand. Aber sprechen wir nicht über diese Angelegenheit!“
„O doch! Sprechen wir von ihr! Wir sind Deutsche. Sie haben mir von sich erzählt, und so müssen Sie auch wissen, wer und was ich bin.“
„Das weiß ich bereits. Sie sind Pharmazeut.“
„Was? Apotheker? Herr, vor Ihnen ist doch wahrlich niemand sicher!“
„Pah! Wer nur fünf Minuten lang mit offenen Augen hier umherblickt, muß überzeugt sein, daß ich das Richtige geraten habe.“
„Ein Apotheker! Es ist wahr. Und ein Mörder! Das ist auch wahr, Herr! Fürchten Sie sich nicht vor mir? Verabscheuen Sie mich nicht?“
„Das fällt mir nicht ein! Gott hat mich nicht zum Richter über irgend einen meiner Nebenmenschen gesetzt. Ich bin wohl noch ein größerer Sünder als Sie und kann mich an Stärke der Reue nicht mit Ihnen vergleichen.“
„Sie haben keine Ahnung von der Größe meines Verbrechens! Ich habe mit voller Absicht einen Menschen ermordet!“
„Aber in der Notwehr?“
„Vielleicht wäre das die einzige Entschuldigung, deren ich mich bedienen könnte. Und doch kann ich es weder mir noch einem anderen beweisen, daß es Notwehr gewesen ist. Erlauben Sie mir, Ihnen den Vorgang zu erzählen.“
„Lassen Sie es lieber sein! Sie regen sich auf; Sie wühlen in alten Wunden.“
„Mag es schmerzen; ich habe es verdient. Ist Ihnen die Geschichte Schleswig-Holsteins bekannt?“
„Ja.“
„Haben Sie auch gehört, wie es den deutsch gesinnten Bewohnern der Herzogtümer von seiten der Dänen ergangen ist?“
„In hundert und wieder hundert Geschichten.“
„So hören Sie! Ich war Apotheker in einer kleinen Stadt, der einzige gut deutsch Gesinnte der ganzen stockdänischen Bevölkerung. Damit ist vieles, wenn auch nicht alles gesagt. Ich will nicht von den Bedrückungen, von den kleinen und großen Leiden sprechen, welche ich erdulden mußte, ohne nur ein Wort sagen zu dürfen. Aber ich wurde so verbittert, daß es war, als ob mein ganzer Körper nur aus Galle bestehe. Je länger, desto deutlicher fühlte ich, daß dies nicht mehr so fortgehen könne, ohne daß es ein Unglück gab. Da kam der erwähnte Krieg und mit ihm die dänische Einquartierung. Ich war natürlich als feindlich gesinnt bezeichnet worden, und so warf man doppelte und dreifache Lasten auf mich. Mein Haus wimmelte von unten bis oben von dänischen Soldaten, welche da schalteten und walteten, als ob ich ein Kannibale sei. Es hatte geradezu Kämpfe gekostet, ein einziges kleines Stübchen zu behalten, und dieses konnte ich nicht hergeben, denn da lag mein geliebtes, todkrankes
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