35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
nicht die Fähigkeit, an einem richtigen Gespräch teilzunehmen, und entfernte sich.
Wir sprachen nun von den gestrigen Vorkommnissen und von den noch zu erwartenden Ereignissen. Darüber verging die Viertelstunde und noch mehr. Ich hatte nicht allzusehr auf den Yerno geachtet, da ich der Wirkung meines Mittels sicher war; jetzt wurde ich auf ihn aufmerksam gemacht, denn der Desierto unterbrach mich mitten in einem Satz, den ich angefangen hatte.
„Horcht! Was war das?“
Ich hatte nichts gehört und horchte auf.
„Hören Sie es?“ fragte der Alte nach einer kurzen Pause. „Das klang, als ob ein Jaguar in der Ferne gebrüllt hätte. Das kann aber nicht der Fall sein, denn es ist jetzt nicht die Tageszeit dazu.“
„Ein Brüllen war es“, antwortete ich, „aber nicht aus der Ferne. Es klang so unterdrückt, weil es mit dem letzten Rest der Kraft in die Lunge zurückgedrängt wurde –“
Ich sprach nicht weiter, denn derselbe Laut erklang abermals. Es war wie das Gähnen eines Tigers oder Löwen. Pena und der Alte waren aufgesprungen. Der erstere trat an das Mauerloch, blickte hinaus und sagte:
„Der Desierto hat ganz recht. Es ist wirklich ein Puma oder Jaguar. Jetzt, am frühen Morgen! Und so nahe am Dorf!“
„Täuschen Sie sich nicht!“ entgegnete ich. „Sie werden keinen Jaguar sehen, und wenn Sie jahrelang da hinausblicken. Es ist kein Tier, sondern der Yerno. Hören Sie!“
Das Brüllen ließ sich wieder hören. Es erklang röchelnd, wie durch die Nase oder zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.
„Der Yerno!“ rief Pena. „Wahrhaftig, er ist's! Da, da, horchen Sie! Ich habe es ganz deutlich gesehen. Er hat die Lippen bewegt. Welch ein Laut, welch ein Ton!“
„Oh, das ist noch nichts! Sie werden noch ganz andere Töne hören.“
„Vielleicht gesteht er jetzt!“
„Er muß sein Geständnis in allerhöchster Angst machen; eher ist seinen Worten nicht zu glauben. Ich bin überzeugt, daß er uns jetzt belügen würde. Jetzt ist seine Verstocktheit noch größer als die Wirkung meines Mittels. Jetzt kann er noch logisch denken; er ist also noch imstande, uns zu belügen, zu betrügen und irre zu leiten. Wir müssen warten, bis die Schmerzen so übermächtig werden, daß er gar nicht mehr denken kann oder vielmehr bis er nur den einen Gedanken noch hegt, von seinen Qualen befreit zu werden. Verhalten wir uns ruhig, dann werden wir seiner Stimme anhören, daß dieselbe ein genauer Gradmesser der steigenden Wirkung meines Mittels ist.“
Das mochte unmenschlich klingen; aber Mitleid war hier ganz am unrechten Platz. Es gibt Rücksichten, denen sich selbst der gefühlvollste Mensch zu unterwerfen hat, wenn er nicht sich selbst oder andere schädigen will. Ich war überzeugt, daß nur die größte Todesangst, nur eine sogenannte Höllenqual dem Gefolterten ein Geständnis, welchem wir Glauben schenken konnten, auspressen werde. Ein unzeitiges Mitgefühl wäre hier nicht nur Schwäche, sondern sogar schädlich und für Horn verderblich gewesen.
Wir sprachen nicht weiter, sondern horchten auf den Yerno. Die Töne, welche er ausstieß, waren nicht zu beschreiben.
„Gräßlich!“ sagte Pena, indem er sich schüttelte. „Wer hätte das den kleinen Wassertropfen zutrauen mögen!“
„Wir sind erst am Anfang“, antwortete ich. „Noch hat er nicht nach uns gerufen. Hören Sie, jetzt!“
Diesesmal war es kein unnatürlicher Laut, den er hören ließ. Wir hatten das Wort ‚Señores‘ verstanden.
„Jetzt ruft er!“ sagte der Alte. „Die volle Wirkung ist da. Wollen wir hin?“
„Nein.“
„Señor, Señor!“ ertönte es nach einer kleinen Weile. „Kommen Sie!“
Und als wir nicht darauf achteten, sondern sitzen blieben, rief er:
„Señor Pena, Señor Pena! Hören Sie mich denn nicht?“
„Er ruft mich“, meinte der Genannte. „Warum gerade mich und nicht Sie?“
„Weil er wohl Ihren Namen, nicht aber den meinigen weiß“, antwortete ich.
„Señor Pena, Pena, Pena!“ schrie er jetzt überlaut. „So kommen Sie doch! Ich halte es nicht mehr aus. Ich will alles sagen, alles!“
Bei dem Klang dieser Worte überlief es mich eiskalt. Der Alte eilte hin, und wir beide folgten ihm.
„Gott sei Dank!“ schrie der Gefolterte. „Sie kommen! Nehmen Sie das verdammte Wasser weg!“
Das war nicht die Art und Weise, welche mich hätte bewegen können, ihm den Willen zu tun. Aber der Desierto schob das Gefäß zur Seite.
„Geben Sie mir die Hände frei!“ fuhr der
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