35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
denselben befindlichen Hirten zu umkreisen, damit keiner der letzteren ausbrechen und uns entfliehen könne.
Als wir den Kreis um das Dorf gebildet hatten, war die Entfernung zwischen unseren Gliedern eine solche, daß die Zwischenräume mit den Kugeln leicht und erfolgreich bestrichen werden konnten. Unsere Geschosse reichten bis in die Mitte des Dorfes, während die Pfeile der Mbocovis uns unmöglich treffen konnten.
Es war mittlerweile hell genug geworden. Um möglichst bald zu Ende zu kommen, wollte ich die Bewohner des Dorfes durch einen Schuß wecken, hatte das aber nicht nötig, denn eben als ich losdrücken wollte, erschallte von den Herden her ein lauter, schriller und langgezogener Schrei. Die Hirten hatten uns gesehen und gaben das Alarmzeichen.
Kaum war dies geschehen, so wurde es im Dorf lebendig. Die Roten kamen aus ihren Hütten; sie bemerkten, daß sie umstellt waren. Die Weiber und Kinder heulten; die Männer holten ihre Waffen herbei.
Wir hörten eine laute, gebieterische Stimme, wohl diejenige des Mbocovi, welcher das Amt des Kommandanten bekleidete. Das Geheul verstummte; es trat tiefe Ruhe ein, und wir sahen einzelne Gestalten zwischen den Hütten erscheinen; sie hatten den Auftrag, zu untersuchen, wer und wie stark wir seien. Bald verschwanden sie wieder, um Bericht zu erstatten. Man schien zu beraten; dann bemerkten wir, daß die Mbocovis sich zerstreuten. Sie hatten den Befehl erhalten, von allen Seiten aus dem Dorf hervorzubrechen und uns anzugreifen. Das geschah aber nicht etwa in offener und stürmischer Weise, sondern sehr langsam und vorsichtig; sie lagen auf der Erde und kamen uns entgegengekrochen.
„Lassen wir sie nicht zu weit heran, sonst erreichen uns ihre Pfeile!“ warnte der alte Desierto, welcher neben mir hielt.
Ich brauchte ihm nicht zu antworten, denn unsere Tobas waren ganz derselben Ansicht gewesen und begannen zu feuern. Ihre Schüsse krachten rundum, und zwar nicht vergeblich. Was auf der anderen Seite unseres Kreises geschah, konnten wir nicht sehen; aber diesseits flogen uns die Pfeile entgegen, ohne uns jedoch zu erreichen; dann sprangen die Mbocovis auf und flohen in das Dorf zurück, wobei sie mehrere Verwundete mit sich nahmen.
„Jetzt wissen sie, woran sie sind“, meinte der Alte. „Was nun? Das Dorf zu stürmen, kann uns nicht einfallen. Schicken wir ihnen einen der gefangenen Wächter als Parlamentär?“
„Warten wir noch ein wenig. Vielleicht senden sie selbst uns einen Boten.“ Meine Vermutung bestätigte sich, denn bald erschien ein Roter, welcher eine Bambusstange in der Hand hielt, woran ein Stück weißes Zeugs flatterte. Hinter ihm kamen andere Rote. Er blieb auf halbem Weg stehen, um zu erfahren, ob wir ihn als Unterhändler betrachten und also schonen würden. Wir winkten ihm, und darauf kam er mit seinen Begleitern vollends herbei. Er trug keinerlei Waffe bei sich und schien kein feiger Mensch zu sein, denn er trat hochaufgerichtet auf uns zu und musterte uns mit Blicken, in denen nichts von Furcht zu lesen war. Unweit von uns hielt der Steuermann. Er rief uns in deutscher Sprache zu:
„Seien Sie nicht allzu höflich mit diesem Kerl! Er gehört zu denen, welche uns hierher transportiert haben, und schien gar nicht damit einverstanden zu sein, daß wir geschont werden sollten. Übrigens spricht er ein leidliches Spanisch.“ Der Rote blickte den Sprechenden an und erschrak. Er erkannte ihn und war betroffen darüber, den Mann, den er als Gefangenen auf der Insel wähnte, hier bei uns zu sehen. Sein nun folgendes Verhalten bewies, daß er glaubte, nur dieser eine sei entkommen; die anderen sah er nicht, da sie zu weit von uns hielten. Er hatte seinen Schrecken schnell überwunden und fragte in unhöflichem Ton den Desierto:
„Wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, uns zu überfallen? Wir leben mit allen weißen und roten Männern in Frieden.“
„Das ist nicht wahr“, antwortete der Alte. „Ihr seid Feinde des viejo Desierto.“
„Den kenne ich nicht. Er wohnt weit von hier bei den Tobas, deren Freunde wir sind.“
„Und doch ziehen eure Krieger gegen sie, um sie zu überfallen. Du sagst, ihr lebtet mit den Weißen in Frieden. Und doch nehmt ihr sie gefangen und schleppt sie hierher?“
„Weil sie uns angegriffen haben. Dieser eine von ihnen, welcher dort auf dem Pferd sitzt, muß heute nacht entwichen sein, und die anderen werden wir auch freigeben, sobald sie ihr Lösegeld bezahlt haben.“
„Entstelle die Tatsachen nicht. Die
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