35 - Sturm über Vallia
Blut!«
Wie von einer höheren Gewalt ergriffen, vermochte Fraipur offen seine Meinung zu sagen.
»Wenn du die Wahl hast zwischen Wasser und Blut, Majister, dann möchte ich dir raten, das Wasser zu nehmen. Denn das Wasser steht für die Meere rings um Rahartdrin und die Inseln, die dich sicher abschirmen werden, während du dich mit dem Herrscher einigst, ich meine – mit dem anmaßenden Usurpator auf dem Thron. Solltest du auf der Hauptinsel kämpfen wollen, so würde sich das vergossene Blut zum Ruin aller auswirken.«
Und nun saß er hier.
Ein berühmter Zauberer aus Fruningen in rostigen Ketten, die dazu geeignet waren, ihm die Hände abzuschneiden. Unerträglich! Seine Zauberkräfte waren real vorhanden, und er glaubte Allorans Rätsel richtig gedeutet zu haben. Die verdammte Arachna hatte ihm das Gerede von Wasser und Blut eingetrichtert. Das verflixte Leem-Wesen war aber angesichts der sich abzeichnenden Ereignisse schlau genug gewesen, ihre Antwort zu verschlüsseln, so daß der dumme Alloran sich nun selbst ins Unglück stürzte.
O ja, Fraipurs Fähigkeiten waren vorhanden; sie reichten aber nicht aus, ihn von den Ketten zu befreien und durch den Tunnel und durch das Eisengitter zu führen – hinaus in die gesegnete frische Luft Kregens.
Er schloß die Augen und begann sich gedanklich von den Schmerzen an Händen und Füßen zu lösen – überhaupt von dem ganzen Schmerz, der ihn plagte. Er zwang sich, an den langen, sauber geschrubbten Tisch in der Akademie seiner Heimatinsel Fruningen zu denken, an die anderen Jungs, die da herumtollten und lachten und lernten. Er dachte an die Bücher, die Lifs und Hyr-Lifs und die Schriftrollen. Seine Gedanken galten dem vermengten Sonnenlicht Zims und Genodras'. Und der Nahrung, die die Sklaven zu den Mahlzeiten auftrugen – Speisen, die von den Lehrlingen der Zaubererkunst Fruningens mit wahrem Heißhunger verschlungen wurden.
Irgendwie gelang es Fraipur, einen Schutzwall zwischen sich und die den Wahnsinn fordernden Situation zu errichten, in der er sich befand.
Ein gutes Stück von Fraipurs elendem Verlies entfernt und ein gutes Stück höhergelegen, saß Silda Segutoria, polierte ihr Schwert, das schon gefährlich hell schimmerte, und widmete sich finsteren Gedanken.
Bei Vox! Diesmal würde sie bis an die Zähne bewaffnet losziehen!
Trotzdem war der arme Lon die Knie zu bedauern. Eigentlich war es nicht seine Schuld. Er lebte in einer instabilen Gesellschaft, einer bewegten Masse Mensch, die der Sklaverei nahestand. Bestimmt hatte er nicht nur Freunde gefunden, sondern sich auch Feinde gemacht. Irgendwie lag ihr der krummbeinige Bursche sogar am Herzen. Er war ein echter Typ. Trotzdem würde er bald den Geschickten Kando auftreiben müssen, sonst würde Silda Segutoria, wenn nicht gar Lyss die Einsame die Geduld verlieren und wie ein Vulkan explodieren.
Sie schnallte den Drexer an seinen Einzelgurt neben das Rapier und schob die verschiedenen Gurte und Anhängsel zurecht, bis sie bequem saßen. Der Sack ruhte auf ihrer linken Hüfte. Im Nu konnte sie mit der linken Hand hineinfahren, ohne sich dabei die Finger zu zerschneiden, wie es dem armen kleinen Spinlikl widerfahren war.
Das schwarze Leder ihres Anzugs war gut gepflegt und überaus weich. Um die Schultern hatte sie sich einen pflaumenblauen Halb-Mantel geworfen. Auf dem Kopf ruhte kein Einheitshelm, auch nicht die Damenversion des allgemein gebräuchlichen weichkrempigen vallianischen Hutes, sondern ein kohlschwarzer Boltsch, ein flacher, runder Hut aus filzähnlichem Material, der sich hübsch schräg aufsetzen ließ. Unter dem Hut befand sich eine harte lederne Kappe.
Sie hatte das Ding erst gestern für zweieinhalb Silber-Stiver erstanden und hatte sofort die leuchtenden gelben und grünen Federn herausgerissen. Sicher war der Hut ein Beutestück, denn die Federn stammten nicht aus der Gegend. Zweifellos hatte sie deswegen den Preis auch so herunterhandeln können – das Ding war einiges mehr wert als zweieinhalb.
Der heraldische Schturval * von Rahartdrin, von König Vodun offiziell abgeschafft, war gelb und grün und besaß zwei diagonale rote Kennzeichnungen unter einer Lotusblüte.
Sie überzeugte sich noch einmal, daß alles vallianisch-korrekt saß, und stampfte dann in hohen schwarzen Stiefeln los.
Vielleicht schaffte sie es diesmal, eine Begegnung zwischen zwei Welten zustandezubringen.
Nachdem ihr das Leben in hohen und niedrigen Schichten der Bevölkerung nicht
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