36 - Das Vermächtnis des Inka
Morgenstern. „Wir haben ihm viel, sehr viel, sogar unser Leben zu verdanken, und jetzt fragst du, was wir mit der Gefahr zu tun haben, in welche er geraten wird? Ich kenne dich nicht mehr!“
„Dafür aber kenne ick mir. Meinen Sie etwa, daß wir ihn befreien?“
„Ja.“
„Da müßten wir ihm nachreiten?“
„Allerdings.“
„Aber der Häuptling will ihm doch einen Boten nachsenden. Da sind wir ja überflüssig.“
„Nein. Wie nun, wenn der Bote ihn nicht mehr in Tucuman antrifft? Er wird umkehren, weil er meint, seine Pflicht getan zu haben.“
„Wir aber würden dem Vater Jaguar nachreisen?“
„Ganz selbstverständlich. Wir würden nicht ruhen, bis wir ihn gefunden und aus den Händen des Gambusino befreit hätten. Meinst du nicht auch?“
„Ja. Wenigstens ick würde nicht eher ruhen.“
„Ich auch nicht. Oder denkst du, daß du tapferer und aushaltender bist als ich?“
„Nein, dat habe ick noch nie jedacht und denke es auch in diesem Moment nicht.“
„So sag, ob du einverstanden bist!“
„Hm! Ick möchte wohl, wenn nur eins nicht wäre.“
„Was?“
„Dat Megatherium.“
„Das geht doch dich nichts an; das ist meine Sache. Wenn ich es einstweilen stehenlasse, brauchst du dich nicht zu grämen; es bleibt uns ja gewiß.“
„Ja, fortlaufen wird es nicht. Tun Sie, wat Sie wollen. Ick richte mir janz nach Sie.“
„So ist es ausgemacht: wir reiten nach Tucuman.“
„Wird der Häuptling uns fortlassen?“
„Kann er uns halten? Hat er uns etwas zu befehlen?“
„Nein, aber er kann leicht einen Grund haben, uns festzuhalten.“
„Das dulde ich nicht.“
„Ick auch nicht. Aber es ist jar nicht nötig, widerspenstig zu sein und Jewalt zu jebrauchen. Wir erreichen unseren Zweck mit List viel eher und leichter.“
„Wieso?“
„Wir brauchen nur zu sagen, daß Sie verjessen haben, dem Vater Jaguar verschiedenes zu sagen, wat Sie noch für dat Megatherium brauchen. Darum möchten wir mit dem Boten jern nach Tucuman reiten, um es zu holen – Dajejen kann ja kein Mensch wat haben.“
„Das ist wahr. Du bist ein Schlaukopf. Also es ist sicher: wir reiten nach Tucuman.“
„Ja, wenn es sich herausstellt, daß die Jeschichte von der Jefahr, in welcher der Vater Jaguar schwebt, wirklich wahr ist.“
Leider stellte es sich heraus, daß der Indianer im Tal des ausgetrockneten Sees sich nicht geirrt oder verrechnet hatte. Die beiden Posten wurden ermittelt und gaben zu, daß sie den Eingang verlassen und ihre zwei Stunden am Feuer in der Gesellschaft der anderen zugebracht hatten. Der Häuptling hatte keinen Grund, die beiden Deutschen von dem Ritt abzuhalten, und so jagten die drei Reiter noch vor Mitternacht zum Dorf hinaus, der Richtung nach Tucuman zu. – – –
ACHTZEHNTES KAPITEL
Die Gäste des Señor Sereno
Salta, oder wie die argentinische Stadt vollständig heißt, San Miquel de Salta, liegt in einer von mehreren Bergwässern durchflossenen Ebene des Tales von Lerma, ist ziemlich gut bevölkert und treibt einen lebhaften Speditionshandel mit Bolivia. Einer der bedeutendsten Spediteure der Stadt war Señor Rodrigo Sereno, dessen Etablissement vor dem nördlichen Tor von Salta lag und vielleicht noch heute liegt. Es bestand aus weiten Stallungen und Lagerhäusern, vor denen gerade an der Straße das langgestreckte Hauptgebäude lag, dessen eine Seite die Wohnung des Besitzers und seiner Familie bildete, während die andere Seite dem öffentlichen Verkehr und vornehmlich der Aufnahme von Reisenden und anderen Gästen diente.
Es war am später Abend. Die Stadtbesucher hatten das Lokal schon verlassen, und die fremden Gäste waren schlafen gegangen. Señor Rodrigo saß allein in der Stube und zählte das Geld, welches er heute eingenommen hatte. Da ließen sich draußen nähernde Schritte hören. Sofort warf er ein Tuch über das Geld und stand auf, um den Tisch zu verlassen, damit man nicht bemerke, wo und womit er beschäftigt gewesen war. Man kann in jenen Gegenden nicht vorsichtig genug sein. Sein Gesicht nahm einen zuwartenden, zurückhaltenden Ausdruck an. Da wurde die Tür geöffnet, und es traten zwei Männer ein, bei deren Anblick sein Gesicht sich augenblicklich wieder aufhellte.
„Buenas tardes – guten Abend!“ grüßten sie und reichten ihm die Hände, die er ihnen, ihren Gruß erwidernd, kräftig schüttelte. Es waren der Gambusino und sein Gefährte Antonio Perillo.
Der erstere ließ sein Auge forschend durch die Stube schweifen, blieb mit
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