3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Stunde für ihre spontane Gastfreundschaft bedanke und gerade los will, kommt ihr Mann Philippe nach Hause und will natürlich wissen, wen seine Frau von der Straße in ihr Haus eingeladen hat.
Nach einer weiteren halben Stunde und vielen weiteren Fragen über den Jakobsweg zwischen Tür und Angel, bedanke ich mich zum zweiten Mal und stehe schon in der Tür, als die beiden mich fragen, wo ich denn die Nacht verbringen will. Immerhin ist es ja wegen meines späten Aufbruchs in Genf und der ausgiebigen Pause schon nach 17:00 Uhr. Wie bisher weiß ich auch heute noch nicht, wo ich übernachten werde, also antworte ich ihnen, dass ich noch keine Ahnung habe, noch zwei Stunden bis Beaumont weiterlaufen und mir dann irgendetwas suchen werde.
Dazu kommt es aber nich t, denn, nachdem sie kurz miteinander gesprochen haben, laden mich Michelle und Philippe kurzerhand ein, die Nacht in ihrem Haus zu verbringen.Begeistert nehme ich die Einladung an. Sie stellen mir das riesige, leerstehende Zimmer ihres Sohnes zur Verfügung, der vor kurzem ausgezogen ist. Ich habe nicht nur ein 1,60 x 2,00 Meter-Bett für mich alleine, sondern auch ein komplettes Badezimmer, einen Fernseher und Internetanschluss. Der pure Luxus!
Nachdem Michelle das Bett frisch bezogen und mir Handtücher rausgelegt hat, sagen die beiden mir, ich solle mich wie zu Hause zu fühlen, denn sie seien noch bei Freunden eingeladen, aber in ein paar Stunden zurück. Tatsächlich lassen sie mich also, obwohl wir uns erst kaum mehr als eine Stunde kennen, alleine in ihrem Haus zurück. Das nenne ich Vertrauen! Als die beiden später wieder zurückkommen, fragt mich Michelle, ob ich Hunger habe. Eine Frage, die man einem Pilger und erst recht mir eigentlich nie stellen muss.
Aufmerksam wie sie ist, fragt mich Michelle sogar, ob ich denn auch Fleisch esse, und so zaubert Michelle noch ein wunderbares Abendessen: Es gibt Rumpsteak mit Pasta, dazu einen guten französischen Bordeaux und Mövenpick-Eis zum Nachtisch.
Wir führen intere ssante Gespräche, die überhaupt nur deshalb möglich sind, weil die beiden Englisch sprechen.
Diese unerwartete und wunderschöne Entwicklung des - wirklich - letzten Tages in der Schweiz, macht mir wieder mal deutlich, dass es eben Ereignisse wie diese sind, die diese Art des Reisens oder vielmehr des Unterwegsseins zu etwas ganz Besonderem machen. Mit dieser Erkenntnis und dem Gedanken, morgen Frankreich, dass größte Land auf meiner Pilgerreise, zu erreichen, schlafe ich in dieser Nacht ein.
Fazit des Tages: Die Dinge bzw. Ereignisse, die du am wenigsten erwartest, sind die Dinge, die dein Leben verändern!
Und manchmal führen unerwartete Ereignisse sogar dazu, dass man sich fühlt, wie Gott in (fast) Frankreich!
Donnerstag, 5. Juni, 24. Tag:
Bardonnex - Chaumont, 32 km
Da ich gestern nur 8 km gelaufen bin, muss ich wohl heute büßen und nehme mir mal wieder eine ordentliche Distanz vor, damit ich nicht erst Weihnachten in Santiago bin. Nachdem ich - natürlich - wieder ausgeschlafen habe, werde ich von Michelle zu einem ausgiebigem Frühstück eingeladen. Später, als ich dann los will, kommt
Philippe sogar kurz aus seiner Firma nach Hause, weil er sich persönlich von mir verabschieden und mir noch zwei T-Shirts mit seinem Firmenlogo schenken will. Klar, dass ich für so jemanden gerne Werbung auf dem Jakobsweg mache. In Genf hatte ich übrigens noch überlegt, mir zwei neue T-Shirts zu kaufen, weil die zwei, die ich mitgenommen hatte, ziemlich mitgenommen aussehen, und jetzt bekomme ich zwei neue geschenkt!
Nach einem herzlichen Abschied von Michelle und Philippe verlasse ich nach nicht einmal einem Kilometer endgültig die Schweiz, überschreite euphorisch die Grenze zu Frankreich und erreiche das größte Land und die mit etwa 1.090 Kilometern größte Teilstrecke des gesamten Weges.
Ich bin super drauf , und auf einem Höhenweg mit tollem Panorama rufe ich in westliche Richtung den Namen der Stadt in den Wind, die noch knapp 1.900 Kilometer entfernt liegt, Santiago! Besonders die Vorstellung, endlich irgendwann vor der Kathedrale der Kathedralen des Jakobsweges zu stehen und es geschafft zu haben, ist ein enormer Antrieb für mich durchzuhalten und auch weiterhin meinen Schweinehund zu überwinden.
Im Laufe des Tages verwandelt das Wetter die Landschaft mal wieder in eine einzige Waschküche und meine Laune,
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