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3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)

3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)

Titel: 3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kamps
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zu betteln, ob ich bei ihnen das Spiel anschauen darf.
     
    Kurz davor zu verzweifeln, fällt mir das Klosterh otel Clos du Capuzin ein, in dem Miran eingecheckt hat. Dort muss es doch etwas zu essen geben und mit etwas Glück auch einen Fernsehraum. Seit unserem letzten Essen sind einige Stunden vergangen, und wir haben langsam echt einen Mordshunger, also machen wir uns mit knurrenden Mägen auf den Weg dorthin. Im Restaurant essen gerade andere Pilger zu Abend, aber trotzdem will man uns anscheinend schnell vom Hals haben und sagt uns, dass es nichts mehr gäbe und der Küchenchef schon Feierabend habe. Nicht vergessen, es ist Sonntagabend kurz nach 20:00 Uhr!
     
    Weil ich aber , im Gegensatz zu Gordon und Jimmy, hartnäckig bleibe und mit der Kellnerin diskutiere, wird ein deutscher Gast auf uns aufmerksam, der fließend französisch spricht und der Bedienung unser Dilemma besser erklären kann. Also bekommen wir am Ende doch noch Brot, Käse, Obst und Wein so viel wir wollen für gerade mal fünf Euro pro Nase. Geht doch! Tatsächlich hat das Hotel einen Fernsehraum und nach den ersten Bissen check ich mal die Lage dort.
     
    Der Fernseher, der aus den frühen Achtzigern zu sein scheint, hat auch ungefähr nur so viele Sender wie es damals gab, fünf! Als hätte sich dieses von Fußball verlassene Nest gegen mich verschworen, ist natürlich der Sender, auf dem das Spiel läuft, nicht dabei!
     
    Ich kann es nicht fassen und ertränke meinen Frust über das verpasste Spiel in Rotwein!
     
     
     
    Fazit des Tages: Warum kann gestern nicht heute sein und heute gestern?
     
    Frage des Tages: Hätte ich für das Spiel auf einen vollen Magen verzichtet?
     
     
     

Montag, 9. Juni, 28. Tag:
     
     
     
Yenne - St. Genix sur Guiers, 24 km
     
     
     
    Heute lasse ich wieder den Masochisten in mir raus und ziehe mir das volle Jakobswegprogramm rein. Dafür muss ich später wieder böse büßen. Miran und ich hatten uns zwar verabredet, um diese Etappe wieder gemeinsam zu laufen, verpassen uns aber in dieser “Riesenstadt”, die doch nicht, wie es am Vorabend den Anschein gemacht hatte, von der Pest dahingerafft wurde. Vor meinem Aufbruch begegne ich auf dem Campingplatz noch Engländern, die, selbst schon Oldtimer, mit ihren Oldtimern der Marke Morris Minor, von Südafrika nach England unterwegs sind.
     
    Wenn ich mir vorstelle, dass sie mit diesen coolen alten Autos den kompletten afrikanischen Kontinent durchquert haben, kann ich nur den Hut ziehen vor dieser Leistung! Ich laufe also alleine los und erklimme schwachsinnig tapfer den Mount Tournier mit nur 600 Höhenmetern. Die Auf- und Abstiege werden teilweise wieder wie zu schlimmsten Schweizer Zeiten und der Weg und ich haben richtig Spaß miteinander. Landschaftlich ist es wieder sehr reizvoll und ich sehe zwar stundenlang kein Haus, keinen Menschen oder andere Anzeichen von Zivilisation, bin dafür aber umgeben von unberührter Natur.
     
    Weil diese natürlich auch von Einkaufsmöglichkeiten verschont geblieben ist und ich schlecht auf diese Etappe vorbereitet bin, da ich in Yenne nichts mehr eingekauft hatte, ernähre ich mich bis zum Abend von Müsliriegeln, einem Apfel und einer Kiwi. Zum Glück finde ich, als ich auch fast kein Wasser mehr habe, mitten im Wald an einer Jagdhütte einen Wasserhahn und kann meine Flasche auffüllen.
     
    Ich fühle mich wie der Mann in den Bergen , und als ca. eineinhalb Stunden vor St. Genix mein Magen langsam anfängt, die lieblichen Geräusche der Natur zu übertönen, tauchen Gott sei Dank endlich wieder ein paar Häuser auf. An einem der ersten frage ich nach Brot, Käse und Wasser, was mir die nette Dame auch gerne gibt.
     
    Sie bittet mich in den Flur , und während ich warte, fällt mein Blick auf ein Poster an der Wand mit dem Spruch: “The Choices we make, not the chances we take determine our destiny!“, was so viel heißt wie: “Die Entscheidungen, die wir treffen, nicht die Chancen, die wir nutzen, bestimmen unser Schicksal!“
     
    Gut zu wissen, werde mir mal Gedanken drüber machen. Auf den letzten Kilometern dieser unmenschlich anstrengenden Etappe geht es nochmal extrem steil bergauf und ich brülle den Weg an, wie viel er denn noch von mir wolle, weil er mir heute wieder alles abverlangt hat. Der Weg bringt mich bisher nicht nur zum Heulen und dazu, Gespräche mit mir selbst und mit dem Weg zu führen, sondern er bringt mich auch, so wie heute, immer wieder an den Rand des Wahnsinns.
     
    N a

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