3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
mittlerweile schon zu einem kleinen Ritual für mich geworden, das mir irgendwie wirklich Kraft gibt und hilft. Im Gotteshaus überlege ich kurz, direkt an Ort und Stelle mein Nachtlager aufzuschlagen, Gott hätte sicher nichts dagegen, entscheide mich dann aber doch für die freie Natur.
Kurz nachdem ich die Kirche wiede r verlassen habe, betritt ein Mann vom gegenüberliegenden Grundstück die Kirche. Meine Vermutung, dass er nach dem Rechten sehen und die Kirche abschließen will, bestätigt sich, und als ich ihn anspreche, stellt sich heraus, dass er in diesem Ort nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Pilger zuständig ist.
Als ich ihm erkläre , in seinem Ort keine Unterkunft gefunden zu haben, bittet er mich, ihm in sein Haus zu folgen. Dort bekomme ich von seiner Frau etwas zu trinken, während er ein paar Telefonate führt. Schon nach ein paar Minuten hat Bernard es tatsächlich geschafft, doch noch eine private Übernachtungsmöglichkeit für mich zu organisieren. Er lädt mich und meinen Rucksack in sein Auto und fährt mich zu der Herberge, die etwa fünf Kilometer in der Richtung liegt, aus der ich gekommen bin.
Die Herberge ist sensationell! Auf dem Grundstück der Gastgeberin habe ich ein ganzes Haus (leider) für mich alleine. Ich habe die Wahl zwischen acht Betten und fange, glaube ich, entweder bald an Stöckchen zu ziehen, oder probiere in Zukunft einfach mal jedes Bett aus. Es gibt einen Fernseher, einen DVD-Player inklusive diverser Filme (auch mal schön) und eine topp ausgestattete Küche. Bevor ich koche, warm schmecken Ravioli ja doch besser, entscheide ich mich für das super gemütliche Riesenbett im Wintergarten.
Im Bad finde ich das nächste Highlight, nämlich eine riesige Wellness-Dusche mit Massagestrahlen und allem Drum und Dran. Die definitiv beste Dusche bisher, die sicher bis zum Ende des Weges nicht mehr übertroffen werden kann. Verständlich, dass ich schon fast Schwimmhäute habe, als ich dann doch mal aus der Dusche komme. Bei Dosenbier und Dosenessen schau ich mir wieder das EM-Spiel des Abends an. Frisch geduscht und mit vollem Magen freue ich mich darüber, doch nicht draußen schlafen zu müssen, vor allem, weil es später am Abend noch wie aus Eimern schüttet.
Fazit des Tages: Wunder geschehen!
Donnerstag, 12. Juni, 31. Tag:
Valencogne - La Cote St.Andre, 34 km, 10 km Auto bis Faramans
Als mich Bernard gestern Abend zu meiner Unterkunft gefahren hatte, hatte ich schon befürchtet, die Strecke nochmal laufen zu müssen. Maryse, meine Gastgeberin, lässt es sich aber zum Glück nicht nehmen, mich wieder bis ins Zentrum von Valencogne zu fahren. Von dort aus wandere ich die ersten acht Kilometer bis Le Pin auf dem gut ausgeschilderten Originalweg, danach verlasse ich ihn aber, weil ich noch stolze 26 km bis zu meinem heutigen Etappenziel vor mir habe, das ich bis 18 Uhr erreichen will. Das zweite Spiel der Deutschen will ich nicht auch noch verpassen.
Ich könnte mir ja auch ein paar Kilometer weniger vornehmen, aber die Dörfer vor La Cote sind alle noch kleiner, und da passiert mir wahrscheinlich dann das Gleiche wie in Yenne. Indem ich den Wanderweg verlasse, laufe ich zwar Bundesstraße, aber erspare mir zwei ordentliche Steigungen. Eigentlich ungerecht, dass man als Pilger grundsätzlich die schwereren Wege hat als die Autos, aber dafür sind diese Wege ja auch schöner und auf Bundesstraßen kann man sich ja auch nicht so schön im Schlamm suhlen und von Mücken stechen lassen.
Ich k omme sehr gut voran und tausche nach einiger Zeit meine Wanderschuhe gegen die Laufschuhe, die ich immer noch dabei habe und die bisher nur ein paar Mal zum Einsatz kamen. Damit schaffe ich dann auch die letzten zwölf Kilometer in knapp zwei Stunden. Etwa sieben Kilometer vor La Cote St. Andre begegne ich Helmut, einem Fahrradpilger aus Meckenbeuren am Bodensee! Während wir uns unterhalten, radelt er langsam neben mir her und nachdem ich ihm erklärt habe, warum ich es so eilig habe, entscheidet er sich, das Spiel zusammen mit mir anzuschauen.
Also fährt er schon mal voraus, um eine Bar zu finden, in der das Spiel gezeigt wird und die nicht um 19 Uhr schließt, außerdem um sich nach einer Unterkunft umzusehen.
Zwei Kilometer vor dem Ziel kommt er mir mit einer guten und einer schlechten Nachricht wieder entgegen: Die schlechte ist, dass die einzige günstige Herberge, in der wir übernachten
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