3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
auch Glück, denn auf meine Frage winken sie ab und sagen: “Dat schenken wir dir! Wir fahren morjen sowieso nach Hause.” Ich verspreche ihnen, bei meiner Ankunft in Santiago ein Gebet für sie zu sprechen, worauf er mir antwortet:
“ Dat brauchste nisch, wir möschten lieber in die Hölle!” Damit sorgen sie bei mir für DEN Lacher der nächsten Tage. Auch heute hätte ich natürlich einfach irgendwo draußen unter freiem Himmel oder in irgendeiner Scheune übernachten können, aber sich abends etwas Warmes zu essen machen zu können, eine heiße Dusche und die Möglichkeit, anderen Menschen zu begegnen und den Abend vielleicht nicht alleine verbringen zu müssen, sind genug Gründe, die dafür sprechen, sich eine “normale” Übernachtungsmöglichkeit zu suchen.
Fazit des Tages: Es gibt auch extrem coole französische Hunde und Menschen, die nicht in den Himmel, sondern in die Hölle kommen wollen!
Samstag, 14. Juni, 33. Tag:
Auberives - Merigneux, 32 km, 6 km Auto bis nach St. Julien.
Ich hab Null Kohle und muss dringend einen Automaten finden oder jemanden überfallen. Der Weg heute ist zuerst ziemlich unattraktiv und mal wieder mit ein paar total schwachsinnigen Umwegen verbunden. Später wird der Weg zwar schöner und führt durch wunderschöne Dörfer und über einen Höhenweg mit fantastischem Panorama, aber er wird auch wieder sehr anstrengend. Der GR 65, wie der Chemin de St. Jacques in Frankreich auch heißt, versucht also schon wieder, der schweizerischen Via Jakobi Konkurrenz zu machen, jedenfalls was den Schwierigkeitsgrad angeht.
Als ich mich heute zum zweiten Mal verlaufe, was außer an der in diesem Teil Frankreichs schlechten Beschilderung sicher auch an meiner Unkonzentriertheit liegt, und den ersten Menschen , dem ich nach Stunden begegne, ziemlich fertig nach dem richtigen Weg frage, bekomme ich zu meinem Entsetzen zu hören, dass ich schon ca. drei Kilometer in die falsche Richtung gelaufen sei, und ich ahne, wo ich den Wegweiser übersehen haben muss. Von dort aus wären es dann noch mal etwa drei Kilometer ziemlich steil bergauf nach St. Julien, meinem heutigen Etappenziel.
Diese Information gibt mir den Rest. Ich bin heute über dreißig Kilometer gepilgert, habe zu wenig gegessen und entsprechenden Mordshunger und Durst. Ich bin total am Ende! Robert, den ich nach dem Weg gefragt habe, scheint zu spüren, dass mir zum Heulen zumute ist. Ohne irgendwelche Fragen zu stellen, signalisiert er mir mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen, lädt mich in seinen alten Mercedes und fährt mich zurück zur Weggabelung, an der ich den Wegweiser übersehen hatte.
Die drei Kilometer dorthin sind mit riesengroßen Schlaglöchern übersät, die zu Fuß zwar gut zu bewältigen waren, aber für die man ansonsten eigentlich einen Geländewagen mit Allradantrieb bräuchte.
Roberts Mercedes hat so etwas nicht und wir bleiben mehrmals beinahe im Schlamm stecken oder kommen ins Schleudern. Als wir an der Weggabelung ohne Totalschaden ankommen, scheint Robert wieder zu spüren, dass meine Kräfte, wenn überhaupt, nur noch mit Ach und Krach bis nach St. Julien reichen würden und sein Angebot, mich auch die letzten drei Kilometer zu fahren, nehme ich dankend an.
Nachdem er mich im Zentrum abgesetzt hat , schaffe ich es gerade noch in einen kleinen Supermarkt, decke mich mit leckeren Sachen ein und koch mir in der Gite, die zu einem Radiosender gehört, Spaghetti Bolognese. Die dort herrschende Philosophie sollte übrigens meiner Meinung nach von jeder Herberge auf dem Jakobsweg übernommen werden: An der Türe des Mehrbettzimmers ist ein Hinweis angebracht mit dem Vorschlag faire 9,-- Euro zu hinterlassen, wenn es einem dort gefällt. Der Hinweis endet mit dem Satz: “Ob du reich bist oder arm, sei uns willkommen!” Toll! Nicht das Geschäft mit der Pilgerei, sondern faire Preise und Solidarität mit den Pilgern sollten Schule machen!
Fazit des Tages: Immer wenn Du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!
Sonntag, 15. Juni, 34. Tag:
St.Julien - Les Setoux, 25 km
Heute verlangt mir der Weg wieder alles ab. Es geht etwa 80 % der Strecke bergauf. Die Steigungen selbst sind nicht so schlimm, aber die Summe der Kilometer und das ständige Bergauf machen die Strecke sehr anstrengend. Es geht von 600 Metern in St. Julien hinauf bis auf 1.200 Meter nach Les
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