3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
zum Abschied noch einmal das Chanson für mich zu singen, was sie gerne für mich tun.
Der Abschied von den drei Ladies, insbesondere von Mary Ellen, fällt mir schwer und als w ir uns herzlich umarmen, erzählt mir Mary Ellen mit Tränen in den Augen, dass ich sie an ihren vor einigen Jahren bei einem Unfall tödlich verunglückten Sohn erinnere und er jetzt auch in meinem Alter wäre. Auch ich bin den Tränen nahe, als ich ihr von meinem verstorbenen Vater erzähle und dass ich vom ersten Moment an das Gefühl hatte, mit ihr irgendwie seelenverwandt zu sein.
Es ist dann mittlerweile 14:00 Uhr, als ich endlich loskomme . Prompt verfehle ich noch in Le Puy einen Wegweiser und laufe zwei Kilometer in die falsche Richtung! Später verlaufe ich mich noch einmal und ärgere mich über meine Unachtsamkeit, obwohl es meiner Meinung nach auch daran liegt, dass der Weg aus Le Puy heraus und die ersten Kilometer nach der Stadt schlecht ausgeschildert sind.
Unterwegs bin ich eine Weile mit dem Deutschen Michael unterwegs, der über 20 Kilogramm (!) Gewicht mit sich rumschleppt und mit seinen nervigen und irgendwie zu hoch eingestellten Nordic Walking-Stöcken ein komisches Bild abgibt. Er ist auch in Le Puy gestartet, möchte ebenfalls bis nach Santiago und hat scheinbar alles strategisch durchgeplant. Nach ein paar Stunden trennen sich unsere Wege, aber wir werden uns noch ein paar Mal begegnen.
Kurz vor 21:00 Uhr komme ich dann endlich nach einem anstrengenden aber schönen Marsch in St. Privat an, wo mir Claudia tatsächlich das letzte Bett freigehalten hat. In der Gite übernachtet auch eine Pilgergruppe, die von ihrem Abendessen noch jede Menge übrig hat, was wieder mal ein Geschenk des Himmels für mich ist.
E s gibt wieder grüne Linsen, aber die sind trotzdem mal eine Abwechslung zu Nudeln. Während ich später noch mein Tagebuch schreibe, beobachte ich in einer Ecke an der Decke den Todeskampf einer ziemlich großen Fliege mit einer viel kleineren Spinne.
Schon am Genfer See wurde ich Zeuge eines Kampfes auf Leben und Tod zwischen einer daumengroßen Raupe und dutzender Ameisen, die sie immer wieder attackierten, immer wieder von der verzweifelt um ihr Leben kämpfenden Raupe abgeworfen wurden, aber irgendwann doch den Kampf für sich entschieden. Auch heute Abend gewinnt das kleinere Insekt. Nach einem langen Kampf verstummt die Fliege für immer.
Frage des Tages: Warum hat Noah das Paar Mücken und Fliegen auf seiner Arche nicht getötet? Vielleicht weil Mücken und Fliegen doch eine Existenzberechtigung haben?
Prophezeiung des Tages: Mary Ellen, die auch schon auf dem nun folgenden Abschnitt unterwegs war, hat mir vorausgesagt, dass die kommenden zehn Tage die schönsten des gesamten Weges werden.
Der heutige Tag w ar schon vielversprechend und ich bin mal gespannt!
Samstag, 21. Juni, 40. Tag:
St. Privat d’Allier - Saugues, 18 km
Kurz vor meinem Aufbruch, Claudia ist schon in das gegenüberliegende Cafe gegangen, bekomme ich zum ersten Mal live den Pilgersong ‘Ultreia‘ zu Ohren, gesungen von der Gruppe, die mich am Abend zuvor noch zum Essen eingeladen hatte. Das Lied sollte später noch von Bedeutung für mich sein…! Nach dem gemeinsamen Motivationsschub wird den Pilgern dieser Gruppe verkündet, dass diejenigen, die sich die ersten sehr anstrengenden Kilometer nicht zutrauen würden, gerne mit dem Gepäckwagen mitfahren könnten.
Die Option zu haben , ohne Rucksack zu pilgern und in ein Auto steigen zu können, wann immer man nicht mehr kann, oder es zu anstrengend wird, ist für mich, außer für schwächere und ältere Menschen, keine interessante und spannende Art zu pilgern, aber es gibt trotzdem anspruchslosere Möglichkeiten, Urlaub zu machen. Claudia und ich frühstücken im gegenüberliegenden Cafe und laufen gegen 08:45 Uhr los.
Es wird ein wunderschöner Tag! Mary Ellen hat immer noch Recht, denn die Landschaft wird mit jedem Kilometer schöner. Dazu ist das Wetter geradezu perfekt. Mittags machen Claudia und ich im Schatten eines Baumes auf einem Höhenweg mit traumhaftem Panorama eine ausgiebige Pause. Wir haben uns im letzten Dorf mit leckerem Essen eingedeckt und mordsmäßigen Spaß.
“Ich mag ... nicht” wird zum Running Gag der nächsten Tage, weil ich aus Spaß anfange, einfach an allem rumzunörgeln, und mir der Schlumpf einfällt, der grundsätzlich alles hasst. Auslöser war, dass
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