3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
sollte! Wir versprechen Theo, uns gut um Marc zu kümmern, und setzen die letzten 12 Kilometer bei erbarmungsloser Hitze, ohne Schatten und ohne weitere Wasserstelle fort. Wir sind heilfroh, am späten Nachmittag endlich Los Arcos zu erreichen. Abends gibt’s mal wieder des Pilgers Lieblingsessen: Nudeln (mit wildem Thymian, den Eleonore unterwegs gepflückt hat). Dazu natürlich wieder Rotwein!
Frage des Tages: Ab wie viel Bildung muss man eigentlich Pasta sagen?
Spruch des Tages: Ein Tourist ist fordernd, ein Pilger ist dankbar!
Samstag, 2. August, 82. Tag:
Los Arcos - Logrono , 29 km
Die heutige Etappe wird lang und anstrengend. Wirklich zu schaffen macht mir aber nur die Hitze. Die paar Steigungen auf dem Weg sind für mich längst keine Anstrengung mehr und leicht zu bewältigen. Theo nimmt von vorneherein den Bus nach Logrono, was übrigens auch andere Pilger gerne machen, die nicht unbedingt körperliche Probleme haben, sondern einfach mal keine Lust oder Zeitdruck. Es sind Pilger, die für ihre Pilgerreise ein zu knappes Zeitfenster haben und zum Beispiel schon ihre Rückflüge ab Santiago gebucht haben. Sie haben einfach die Rechnung ohne ihren Körper gemacht, zu viele Kilometer eingeplant und realisieren plötzlich, dass die Rechnung nicht aufgeht.
Weniger Kilometer, p ausieren und ihre Verletzungen auskurieren geht nicht, weil sie sonst ihren Flug verpassen, also nehmen sie eben für die eine oder andere Etappe den Bus. Gerade auf dem Jakobsweg sollte man mal keine Termine und Zeit haben, sich lieber nicht überschätzen, so lange pausieren, wie man muss, so lange laufen, wie man kann und in einem anderen Jahr den Rest pilgern. Wenn man immer wieder Teilstrecken mit dem Bus zurücklegt, kommt man einfach nicht richtig zum Pilgern.
Nachmittags führt uns der Weg an einer Wiese vorbei, auf der eine Gruppe Spanier oder Zigeuner bei lauter Salsa-Musik ein Barbecue veranstaltet. Als sie uns zuwinken und Carmen zur Musik einen Hüftschwung hinlegt, laden sie uns spontan zu ihrer Barbecue-Party ein. Die Einladung können wir gar nicht ausschlagen, also werden wir von der Großfamilie verwöhnt mit Grillspießen und schon wieder Rotwein!
Marc, der sich vor ein paar Tagen noch strikt geweigert hatte, seiner heimlichen Leidenschaft, dem Singen, nachzugehen, kommt langsam immer mehr aus sich heraus. Immer öfter hört er niederländische Musik auf seinem MP3-Player und singt dazu. Da er nicht gerade das größte Talent ist, ertragen Eleonor, Carmen und ich mehr seinen Gesang, als dass wir uns daran erfreuen.
Trotzdem halten wir sein Singen gerne aus, weil es schön ist mitzuerleben, wie ein anfangs schüchterner junger Mann, der eine verdammt schwere Kindheit und Jugend hatte, sicher auch angespornt durch seine Leistungen auf dem Weg, langsam immer mehr Selbstvertrauen entwickelt. Nicht nur für ihn wichtig, um erwachsen zu werden. Irgendwann ist er dann sogar so mutig, dass er Lust hat, in den Pausen und quasi vor Publikum zu singen.
Mich hat er als Opfer auserkoren , ihn auf der ‘Gitarre’ zu begleiten, weil er sich alleine doch noch nicht traut. Da ich ja schon Erfahrung als Straßenmusikant habe, mutiert also mein Pilgerstab kurzerhand zur Gitarre und wir haben in Viana unseren ersten öffentlichen gemeinsamen Auftritt! Passanten, andere Pilger und wir haben jede Menge Spaß. Von da an hört Marc fast gar nicht mehr auf zu singen.
Auf den letzten zehn Kilometern durch das landschaftlich traumhafte Navarra und mit dem Erreichen der Rioja -Region verstummt er dann aber doch, denn sie werden vor allem für ihn zu einer Tortur, da er immer größere Probleme mit seinem rechten Knie hat und irgendwann fast nicht mehr laufen kann. Wir sind mitten in der ‘Wildnis’, werden immer langsamer und fallen immer weiter hinter Carmen und Eleonor zurück.
Er fängt an , Techno-Musik zu hören und wird immer lust- und mutloser. In einem etwas schärferen Ton überzeuge ich ihn, die Musik auszumachen, weil ich finde, dass sie in seinem jetzigen Zustand nicht gerade motivierend ist, sondern eher aggressiv macht. Immer wieder hält Marc inne, stützt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Trekkingstöcke und ist kurz davor aufzugeben.
Durch kontinuierliche Motivation, zuerst durch Eleonor, Carmen und mich, später nur noch durch mich, weil wir zu weit zurückfallen, schafft er es dann aber doch, seine letzten Kräfte zu
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