3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Während des Dinners erzählt uns Nils seine persönliche Horrorgeschichte: In Pamplona ist er mitten im Verkehr irgendwie vom Fahrrad gefallen und erst im Krankenhaus wieder aufgewacht! Guten Schutzengel gehabt! Glücklicherweise konnte er weiterfahren.
Als wir später nach dem Abendessen bei San Miguel mit Bier und Zigarette vor der Herberge sitzen, begegne ich Fernando! Er wohnt in Belorado und sitzt seit einem schweren Autounfall im Rollstuhl. Als er an der Herberge vorbeifährt und uns aus einigen Metern Entfernung sieht, hält er an. Ich habe das Gefühl, dass er Kontakt sucht, sich aber nicht traut, uns anzusprechen. Also gehe ich zu ihm rüber, stelle mich ihm vor und frage nach seinem Namen, worüber er sich sehr freut. Er spricht zwar Englisch, ist aber aufgrund seiner Behinderung sehr schwer zu verstehen.
Der Herbergsvater wird auf die Situation aufmerksam, kommt zu uns herüber, klinkt sich in unser Gespräch ein und kann so das eine oder andere, was ich nicht versteh e, übersetzen. Er heißt ebenfalls Fernando, worüber sich mein neuer Freund natürlich sehr freut.
Nachdem Fernando seinen Weg i m Rollstuhl fortgesetzt hat, erzählt mir der Herbergsvater Fernando seine Geschichte. Er war ein gesunder, gutaussehender und sehr beliebter junger Mann, ein Frauenschwarm in Belorado, bis zu dem Unfall. Danach hatte er plötzlich kaum mehr Freunde und vereinsamte mehr und mehr.
Jeden Abend , seit er die Herberge leitet, beobachtet Fernando den anderen Fernando, wie er an der Herberge vorbeifährt, auf der Suche nach dem einen oder anderen Gespräch und etwas Zerstreuung, und ich sei der erste (!) Pilger gewesen, der ihm nicht nur Beachtung, sondern auch Aufmerksamkeit geschenkt habe. Traurig, aber leider wahr.
Fazit des Tages: Mehr Blumen während des Lebens, denn auf den Gräbern sind sie vergebens…!
Mittwoch, 6. August, 86. Tag:
Belorado - San Juan de Ortega, 24,9 km
Von Belorado geht’s weiter nach San Juan de Ortega. Als ich nach unserem ersten Stopp meine Socken und Schuhe wieder anziehe, reißen die alten Schnürsenkel, die ich schon mehrmals zusammengeknotet hatte, endgültig und werden durch die neuen ersetzt. Auch einige Ösen sind schon gerissen, aber ein paar selbst gestochene Löcher im Leder erfüllen den selben Zweck. Meine Sohlen haben auch schon ein ziemlich großes Maul vorne und sollten, wenn ich schon keine neuen bekomme, wenigstens mal geklebt werden.
Werde mal schauen, ob ich Sekundenkleber irgendwoher bekomme. Wenn ich schon keinen Schuster finde, reparier ich sie eben selbst. Die Sohle ist mittlerweile so dünn, dass ich jeden Stein spüre und genauso gut barfuß laufen könnte, aber die Einlegesohle von meinen Laufschuhen, von denen ich mich in Pamplona getrennt hatte, erfüllen jetzt ihren Zweck. Das zweite Teilstück unserer heutigen Etappe wird für mich sehr schmerzhaft. Seit einigen hundert Kilometern schon schmerzen immer mal wieder zwei Zehen meines linken Fußes und auch mein rechtes Sprunggelenk, das mal gebrochen war, macht sich immer öfter bemerkbar. Liegt sicher auch daran, dass ich in den letzten 25 Tagen nur einen Ruhetag hatte.
Als wir in San Juan de Ortega ankommen , erleben wir eine große Enttäuschung: Die Herberge, die ich den anderen aufgrund der Empfehlung meines Wanderführers vorgeschlagen hatte, ist leider nicht mehr das, was sie mal war. Sie ist nicht mehr gegen eine Spende buchbar, sondern kostet jetzt immerhin satte 7,-- Euro, und auch die in meinem Guide angepriesene Knoblauchsuppe und besondere Atmosphäre der Herberge gibt es nicht mehr, seit im März diesen Jahres der für all das verantwortliche Pfarrer Don Jose Maria Alonso gestorben ist.
Den guten Geist dieses Ortes hat er anscheinend mit ins Grab genommen, denn was uns in dieser „Pilgerfalle“ entgegenschlägt, könnte man schon fast als Fremdenhass bezeichnen. In dem winzigen Nest gibt es außer einer Bar neben der Pilgerherberge und einem Restaurant, das aber erst abends öffnet, nichts, wo man etwas zu essen bekommen könnte. Wir gehen also in die Bar, um etwas Brot zu kaufen, weil wir noch Käse dabeihaben, bekommen aber keines verkauft. Also fragen wir nach ein paar Bocadillos, belegten Broten, die uns der idiotische Besitzer der Bar aber nicht mehr zubereiten will, weil wir eine Viertelstunde zu spät seien und es jetzt nun mal keine Bocadillos mehr gebe!
Ich fühle mich wie Michael Douglas in dem
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