3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
aufgeschlagen! Die sorgen dafür, dass Eleonore, Carmen und ich ziemlich schnell wach sind, genauso schnell unsere Sachen zusammenraffen und wie von Taranteln gestochen von der Wiese springen.Wie begossene Pudel stehen wir klatschnass da, kriegen uns dann aber wegen unserer ersten unfreiwilligen Morgendusche vor Lachen nicht mehr ein.
Auch heute, am neunten Tag in Spanien , geht’s wieder durch die unerträgliche Hitze und die fast schattenlose, aber schöne Landschaft weiter Richtung Westen, weiter Richtung Santiago! Der Gedanke, endlich bald vor DER Kathedrale zu stehen, ist immer wieder wie ein Motor für mich und lässt mich darüber nachdenken, ob der Spruch ‘Der Weg ist das Ziel!’ wirklich richtig ist.
Eleonore, Carmen und ich sind jetzt nur noch zu dritt, nachdem auch Marc aufgrund seiner zu großen Schmerzen beschlossen hat, sich zu schonen und mit Theo zusammen bis in die nächste größere Stadt Burgos zu fahren, um dort einige Tage auszukurieren. Auch sie haben leider ein Zeitlimit und wollen es auf jeden Fall bis Santiago schaffen.
In Santo Domingo de la Calzada checken wir in einer sehr schönen und rustikalen Pilgerherberge ein, wo es ein Wiedersehen gibt mit Annette, Monika und Jackie. Diesmal bin ich dran mit Kochen. Aber vorher starte ich einen allerletzten Versuch, einen Schuster zu finden, der mir bis zum nächsten Morgen meine Schuhe neu besohlen kann. Der einzige Schuster, den ich finde, hat eine Whiskey-Fahne drei Meter gegen den Wind, schafft es aber noch, mir zu erklären, dass der Kleber wohl nicht halten würde, wenn ich sie am nächsten Tag wieder mitnehmen wollte.
Also gebe ich endgültig die Hoffnung auf, doch noch zu einer neuen Sohle zu kommen, und kaufe mir einfach nur neue Schnürsenkel. Die alten habe ich oft genug wieder zusammengeknotet, nachdem sie gerissen waren. Nach dem Essen feiern wir Jackies Abschied. Sie will bis Leon mit dem Zug weiterfahren, um dort ihre Eltern zu treffen, die aus den USA einfliegen und mit denen sie von dort aus weiterpilgern will bis nach Santiago.
Im Garten der Herberge verbringen wir in einer großen Runde, mal wieder auf dem Boden sitzend, einen stimmungsvollen Abend mit Blick auf die beleuchtete Kathedrale von Santo Domingo. Später, als sich die Runde durch die netten Ermahnungen der freiwilligen Leiterin der Herberge, langsam auflöst, freunden Carmen und ich uns mit ihr an und bekommen, da sie natürlich auch schon auf dem Camino war, einige Tipps für unseren weiteren Weg.
Die berühmten Hühner von Santo Domingo schauen wir uns übrigens nicht an. Erstens , weil man, um das Federvieh zu sehen, 2,50 Euro hinblättern soll und man es dann zweitens noch nicht mal fotografieren darf! Die Legende, an die die Hühner erinnern, erzählt, dass durch eine falsche Anschuldigung eines Diebstahls der Sohn einer Pilgerfamilie gehängt wurde. Trotzdem pilgerten die Eltern weiter.
Auf ihrem Rückweg von Santiago kamen die traurigen Eltern wieder an der Richtstätte vorbei, an der sie von ihrem Sohn angesprochen wurden. Er hatte überlebt, da ihn Santiago auf seinen Schultern getragen hatte! Die Eltern liefen zum Richter, der gerade gebratene Hühnchen aß, und berichteten ihm von dem Vorfall. Der Richter antwortete, dass ihr Sohn so tot sei wie die Hühnchen auf seinem Teller, worauf sich die Hühner erhoben und davonflatterten.
Fazit des Tages: Für meine Schuhe geschieht auch in Santo Domingo kein Wunder! Also bekommen sie keine neue Sohle, basta!
Dienstag, 5. August, 85. Tag:
Santo Domingo de la Calzada - Belorado, 23,6 km
Es bleibt glühend heiß und die Landschaft wildromantisch und wunderschön. Wir erreichen Kastillien und damit die Kornkammer Spaniens. Wie auch schon in Frankreich ist das Farbenspiel des Himmels, der Wolken und der Kornfelder spektakulär.
Gegen 14:00 Uhr erreichen wir Belorado und checken in einer Herberge mit Pool ein, in der um nichts weiter als eine Spende gebeten wird! Da wir so früh losgelaufen sind und ankommen, wird der Rest des Tages wie Urlaub vom Camino. Abends gehen Eleonor, Carmen, Annett, Monika und ich gemeinsam mit dem etwa 60 Jahre alten Fahrradpilger Nils aus Dänemark in das gegenüberliegende Restaurant, in dem es, wie in vielen Dörfern und Städten auf dem Weg, ein Pilgermenü für faire 9,-- Euro gibt.
Das Menü beinhaltet drei Gänge, Fleisch oder Fisch zum Hauptgericht und Wein sowie Wasser während der Mahlzeit.
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