365 Geile Nacht Geschichten Band 2 Juli
ein Wort an ihn zu richten, nehme ich die Speisekarte, wende mich zum Gehen und will gerade Richtung Küche laufen, als er plötzlich anmerkt:
“Ach ja, eine neue Kerze wäre noch nett. Diese hier ist schon etwas heruntergebrannt.” Ich drehe mich um und sehe ihn leicht wütend an, nicke aber. Was soll das nur?
Kurz darauf tausche ich die Kerze auf seinem Tisch und er betrachtet stumm meinen Dienst. Nachdem ich die Neue auch angezündet habe, frage ich:
“Hat der Herr noch einen Wunsch?” Natürlich nicht, ohne ihn über meinen Unmut dabei zu informieren. Doch er zieht nur sein Handy aus der Tasche, sagt ganz beiläufig:
“Nein, das wäre alles” und beginnt sich mit seinem Angeberstück zu beschäftigen. Leicht verdrehe ich die Augen und gehe zu anderen Kunden, die wirklich hier nur essen wollen.
Er lässt sich von mir bedienen, aber sagt kein Wort mehr, das außerhalb dieses Services liegen würde. Ich bringe ihm den Wein und lasse ihn Vorkosten, er nimmt ihn an und schließlich serviere ich ihm Vor- und Hauptspeise. Er beobachtet mich nicht heimlich oder macht Fotos, um sich vielleicht mit anderen seiner womöglich gutbetuchten Freunde über mich zu amüsieren. Immer wieder wandert meine Aufmerksamkeit aus der Ferne zu ihm, um dies sicherzustellen. Er ist ganz in sich selbst vertieft, genießt das Essen und betrachtet teilweise die anderen Personen um ihn herum. Ist er wirklich einfach nur ein Gast?
Als ich ihm die Rechnung in einem kleinen Buch reiche, sieht er nicht einmal hinein, sondern legt zweihundert Euro auf den Tisch und sagt:
“Stimmt so.”
“Bist du verrückt? Das sind mehr als dreißig Euro Trinkgeld.”
“Ja, dann bin ich wohl verrückt. Wir sehen uns, war wirklich lecker.” Da steht er auch schon auf und ich bleibe verdutzt zurück. Meine Stimmung liegt irgendwo zwischen Dankbarkeit und angewidert sein für sein gönnerhaftes Verhalten. Ich nehme die beiden Scheine und bereite den Tisch für nächste Gäste vor. Noch zwei Stunden, dann habe ich es geschafft.
Ich ziehe mich um, lege meine rote Schürze in den Wäschekorb und verabschiede mich von den anderen Mitarbeitern, die noch auf ein Bier bleiben wollen. Die Luft draußen ist kalt und schneidend, sicher nicht mehr lange, bis es das erste Mal schneit.
“Es fährt keine Bahn mehr.” Ich drehe mich herum, habe ich gerade die Stimme richtig erkannt? Ja, das habe ich, aber ich versuche mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Lässig steht er an seinem Wagen, betont locker, vielleicht zu sehr betont und raucht eine Zigarette.
“Ich weiß, ich werde laufen.”
“Das sind mehr als sieben Kilometer.”
“Ich weiß, danke Markus.” Ich verziehe leicht mein Gesicht zu einer Grimasse. Drehe mich herum und will bereits in Richtung Heimat laufen.
“Ich könnte dich fahren, das liegt ja auf meinem Weg.” Als würde das Schicksal mir einen Streich spielen, spüre ich, wie mein wundgescheuerter, rechter Fuß an einer Stelle nachgibt. Ich lasse den Kopf sinken und überlege. Eigentlich will ich dieses Spielchen nicht mitspielen, wenn es denn eines ist, aber wenn ich morgen wieder arbeiten will, sollte ich sein Angebot wohl annehmen.
“Na gut, Markus, du hast gewonnen.”
“Ich tue dir nur einen Gefallen, da gewinne ich nicht”, sagt er unschuldig und ich drehe mich wieder zu ihm und gehe auf seinen Wagen zu. Er hat mich schon einige Male von der Uni mitgenommen, aber das war etwas anderes. Ich setze mich in den warmen Innenraum, rieche das Leder. Ich sehe, wie er die Zigarette wegschnippt und auch endlich einsteigt.
“Willst du was Bestimmtes hören?”, fragt er und dreht irgendwelche Knöpfchen an seiner Soundanlage.
“Nein, ist mir egal. Einfach nur nach Hause, okay?”
“Ganz wie du willst. Anschnallen!”
“Ja ja, schon gut.” Ich greife nach dem Gurt. Sanft fährt der Wagen an, der Verkehr ist für die Uhrzeit entsprechend ruhig und ich fühle ein wenig die Müdigkeit durch meine Knochen wandern, während ich mich in seine Sitze kuschele und merke, dass er die Sitzheizung eingeschaltet hat. Einige Minuten vergehen, da sagt er plötzlich:
“Ich finde es doof, dass du arbeiten musst. Ich würde viel lieber mal etwas mit dir unternehmen, anstatt immer nur Hausaufgaben zu machen und zu lernen.”
“Ach, du findest das doof? Das tut mir leid”, antworte ich leicht ermattet.
“Nein, wirklich. Können wir das nicht irgendwie anders machen?”
“Wie meinst du das jetzt schon wieder?” Ich streiche
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