38 - Satan und Ischariot II
zwei Schüsse krachten wie aus einer Donnerbüchse; zwei Dritteile der Lanze waren verschwunden; das letzte Drittel steckte in der Erde. Die Uled Ayun ritten hin. Ich legte den Bärentöter auf den Boden nieder, ergriff den Stutzen und rief Emery und Winnetou zu:
„Nun rasch auch hin, damit sie uns nicht aus der Treffweite kommen. Winnetou mag, da er nicht mit ihnen reden kann, ihre Waffen und ihre Pferde in Empfang nehmen.“
Wir verließen also die Stelle, auf welcher wir gestanden hatten und wo die Frau mit ihrem Kind zurückblieb, und folgten den Uled Ayun, denn wir mußten ihnen so nahe sein, daß wir sie mit unseren Kugeln in Schach halten konnten. Wir kamen bis auf fünfzig Schritte an sie heran, ohne daß sie dies für auffällig hielten.
Die Lanzenstücke gingen von Hand zu Hand und des Erstaunens war kein Ende. In seiner unvorsichtigen Bewunderung wendete sich der Scheik um und rief uns zu:
„Der Teufel ist euer Gehilfe. Ihr schießt, ohne zu laden, und eure Kugeln fliegen zehnmal weiter als die unsrigen!“
„Und doch hast du die Hauptsache vergessen“, antwortete ich. „Nämlich von euren Kugeln hat keine einzige getroffen, während wir lauter Treffer gehabt haben. Dabei habt ihr auf starke Menschen, die man gar nicht fehlen kann, wir aber auf einen dünnen, schwachen Lanzenschaft geschossen. Ich sage dir, daß niemals eine unserer Kugeln fehlgeht. Weißt du, in wieviel Zeit ich die zehn Schüsse getan habe?“
„In ebensoviel Herzschlägen.“
„In welcher Zeit würde ich dann wohl vierzehn Schüsse tun?“
„In vierzehn Herzschlägen.“
„Richtig! Und jeder würde treffen, nämlich einen von euch!“
„Ja Alla, ia Rabb – o Gott, o Herr! Willst du wirklich auf uns schießen?“
„Nur wenn ihr mich dazu zwingt. Ich habe euch gesagt, daß ihr meine Gefangenen seid; dabei bleibt es! Nun sage mir, ob ihr euch ohne Widerstand ergeben wollt, oder ob ich schießen soll!“
„Gefangen? Ich ergebe mich nicht. Welch eine Schande, von so fremden Hunden, wie ihr seid und wie –“
„Schweig!“ donnerte ich ihn an. „Du hast mich schon einmal Hund genannt, und ich sagte dir, daß die Strafe dafür noch vor dem Abendgebet erfolgen werde. Ich verdopple sie, wenn du dieses Wort nur noch ein einziges Mal sagst! Also noch einmal und zum letztenmal: Ergebt ihr euch?“
„Nein. Ich schieß dich nieder!“
Er legte seine Flinte auf mich an; ich rief ihm lachend zu:
„Schieß doch! Ihr habt ja nicht geladen! Ihr habt euch vollständig überlisten lassen. Ich wende mich zunächst an dich, und deine Leute werden deinem Beispiel folgen. Steig jetzt ab und – – –“
Ich wurde unterbrochen. Emery hatte sein Gewehr blitzschnell erhoben und geschossen, denn einer von den Uled Ayun, der hinter zwei anderen steckte und also von mir nicht gesehen werden konnte, hatte sich unbeachtet geglaubt und Pulverhorn und Kugeltasche hervorgezogen, um zu laden. Der Schuß des Engländers traf ihn in den Vorderarm. Er schrie laut auf und ließ sein Gewehr vom Pferd fallen.
„Dir ist recht geschehen!“ rief ich zu ihm. „So wie dir, wird es jedem ergehen, welcher ungehorsam ist. Ich habe euch gewarnt und warne noch einmal. Auch denjenigen, der sich etwa wendet, um zu fliehen, wird sofort eine Kugel vom Pferd reißen. Steig augenblicklich ab; trag dein Gewehr hinüber zum Krieger aus dem Belad Amierika; gib ihm dein Messer und deine sonstigen Waffen ab, und setze dich dann in seiner Nähe auf den Boden nieder!“
Der Mann zögerte, obgleich ihm das Blut vom Arm lief. Da legte ich den Stutzen auf ihn an und drohte:
„Ich zähle bis drei. Wenn du dann noch nicht gehorchst, zerschmettre ich dir auch noch den anderen Arm. Also – eins – zwei –!“
„Ma sa Allah kaan wamaa lam jasa lam jekun – was Gott will, geschieht; was er nicht will, geschieht nicht“, knirschte er, stieg vom Pferd, hob sein Gewehr auf und trug es Winnetou hin, der es ihm abnahm und ihn dann nach anderen Waffen untersuchte.
Ich rief die Frau herbei, gab ihr mein Messer und sagte:
„Du weißt, was die Schurken an dir und deinem Kind getan haben, und wirst uns jetzt gern mithelfen. Schneide dem Mann dort einen starken Streifen vom Haïk und binde ihm mit demselben die Arme an beiden Ellbogen so fest auf den Rücken, daß er die Fessel nicht zerreißen kann. Das tust du dann auch mit jedem folgenden!“
„O Herr, was seid ihr für Männer!“ rief sie aus. „Ihr tut Wunder über Wunder, und euch ist alles, alles
Weitere Kostenlose Bücher