39 - Satan und Ischariot III
waren. Damit man sie von tapferen und ehrlichen Leuten unterscheiden konnte, wurden ihnen die Haare vom Kopf geschoren. Ich halte mein Wort, indem ich dich gehen lasse, aber zur Unterscheidung von diesen kühnen und ehrlichen Männern sollst du vorher das Haar verlieren. Nehmt es ihm mit euern Messern vom Kopf!“
„Mein Haar? Mein –“
„Schweig, Kröte, sonst nehme ich dir nicht nur das Haar, sondern das Leben!“ donnerte ihn der Häuptling an.
Freiwillig gehorchte Melton dem Befehl nicht; er schrie und zeterte vielmehr aus Leibeskräften, doch half ihm das gar nichts. Er wurde niedergerissen und von zehn, zwölf nervigen, roten Fäusten festgehalten, worauf ein alter Comanche ihm das Haar mit dem Bowiemesser herunterschabte. Dies kalte und trockene Rasieren schien, nach den Gesichtern zu schließen, die er schnitt, und nach dem Heulen, welches er hören ließ, weder sehr gefühlvoll vorgenommen zu werden, noch überhaupt etwas sehr Entzückendes zu sein.
Als der Kopf vollständig kahl war, wurde er losgelassen, sprang auf und retirierte hinter den Wagen. Jetzt wendete sich der Häuptling an die Jüdin, welche eben auch hinter dem Wagen verschwinden wollte:
„Halt, bleib! Der weiße Krieger Old Shatterhand wurde dein Anbeter genannt. Ist er es gewesen?“
„Ja“, antwortete sie, ohne die Augen niederzuschlagen.
„Du hast ihn abgewiesen und bist lieber mit dem Mann fortgegangen, der da hinter dem Wagen steckt? Bist du das Weib desselben?“
„Noch nicht.“
„Ein rotes Mädchen würde niemals mit einem Mann eine solche Reise machen, dessen Squaw sie nicht ist. Und deine Zunge ist nicht eine Zunge, sondern ein Schlangenzahn, welcher Gift ausspritzt. Tausend rote Squaws und Mädchen würden ja sagen, wenn Old Shatterhand sie begehrte; eine solche Pflanze, wie du bist, wird er nie begehren. Du hast gelogen. Gestehe es!“
„Ja“, gestand sie kleinlaut.
„Und wider die Wahrheit spritzt du Gift gegen einen berühmten Krieger, den nur anzuschauen du nicht würdig bist! Du gleichst innerlich dem, mit dem du fahren willst, und sollst ihm auch äußerlich gleichen. Du hast einen großen Krieger beleidigt, der zu stolz war, sich mit einem Wort gegen ein Weib zu verteidigen. Nehmt auch ihr das Haar vom Kopf! Dann mögen die beiden Kröten dahinfahren, wohin sie wollen!“
Da erhob die schöne Judith ein Geschrei, welches mich veranlaßte, den Häuptling schnell zu bitten:
„Avat-Uh ist ein tapferer Mann und großer Krieger; die Squaw ist nicht wert, daß er an sie denkt. Er mag ihr das Haar lassen und sich stolz von ihr und ihrem Gefährten wenden.“
Da warf er mir einen zornigen Blick zu und antwortete:
„Wer gibt Old Shatterhand das Recht, einen Befehl des ‚Großen Pfeils‘ zu verbessern? Ein Häuptling und Krieger muß stets wissen, was er redet und tut, und darf nie ein Wort, welches er gesprochen hat, zurücknehmen. Es bleibt dabei. Man nehme auch ihr das Haar!“
Ich hatte getan, was ich in meiner hilflosen Lage vermochte, und wendete mich ab, um wenigstens nicht zu sehen, was ich leider hören mußte. Judith schien sich aus allen Kräften zu wehren; sie brüllte, als ob sie gespießt werden sollte. Als sie ruhig war, drehte ich mich wieder um, konnte sie aber nicht sehen, weil sie sich in die Kutsche geflüchtet hatte. Hinter derselben klang jetzt die Stimme Meltons hervor:
„Der ‚Große Pfeil‘ mag mir noch einmal sagen, ob er sein Wort halten und die drei Gefangenen wirklich töten wird!“
„Ich halte mein Wort; sie werden morgen eingemauert“, antwortete der Häuptling. „Nun aber mag das feige Bleichgesicht mit seiner Squaw, die nicht seine Squaw ist, dafür sorgen, daß wir sie nicht länger sehen, sonst nehmen wir ihnen noch mehr als das Haar allein!“
Die Pferde wurden eiligst vorgespannt, die überflüssigen hinten angehängt; die beiden Kutscher sprangen auf den Bock, Melton stieg zu seiner Judith ein; dann setzte sich das Gefährt in Bewegung. Der Mensch, den wir drüben in Afrika und hier hüben gejagt hatten, entkam abermals, und wir sollten – lebendig begraben werden!
Wir waren abgestiegen und lagerten im Gras. Die Comanchen hatten heute noch nichts genossen; sie sollten hier essen, ehe der Ritt nach dem Todestal begonnen wurde.
Es fiel mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben. Auf Gnade konnten wir freilich nicht rechnen; aber das uns bestimmte Schicksal sollte uns erst morgen werden, und bis dahin hatten wir wenigstens noch zwanzig Stunden Zeit. Und was
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