4 Meister-Psychos
das war alles. Das Päckchen ließ sich mühelos und
unauffällig öffnen, es enthielt einen Kalender und ein Werbeschreiben. Schluß.
Nichts Wichtiges, kein privater Brief, keine auffallende Handschrift.
Steinmann verstreute die Post
wieder malerisch auf der Erde und sah auf die Uhr. Es war wenige Minuten vor
acht, also noch kurze Zeit, und es schlug die gleiche Stunde, zu der vor einer
Woche der Mörder Dr. Randolph das Haus betreten hatte — oder verlassen, wie man
wollte. Ob er noch einmal wiederkäme? Man sagt doch, daß der Tatort den Mörder
anzöge wie Baldrian die Katzen.
Steinmann lächelte über seinen
Aberglauben, aber, so lächerlich ihm das vorkam, irgend etwas trieb ihn, die
zehn Minuten noch abzuwarten, er war sentimental und romantisch veranlagt.
Vielleicht kam ihm gerade in diesen fraglichen sechshundert Sekunden die
Erleuchtung.
So blieb er in der tiefen
Stille sitzen, sah auf die Uhr und wartete. Die Zeiger krochen fürchterlich
langsam, sie kamen überhaupt nicht vom Fleck. Steinmann zählte seine
Pulsschläge. Fünfundsechzig schienen ihm etwas wenig, dann probierte er, wie
lange er den Atem anhalten könnte und prustete mit hochrotem Kopf nach zwei
Minuten und vierundzwanzig Sekunden los, so laut, daß er fürchtete, man müßte
es im ganzen Haus gehört haben.
Jetzt war es 20.05 Uhr.
Um diese Zeit mußte der Schuß
gefallen sein, wenn Marohn nicht der Mörder war. Herrgott, wie konnte man nur
beweisen, daß er es wirklich nicht war? Wenn jetzt wieder ein Schuß fällt, ich
bin darauf gefaßt, dachte Steinmann, mich erschreckt ihr nicht. Aber er
erschrak doch furchtbar, als ein schrilles Klingeln die Stille durchschnitt,
anhaltend und dröhnend.
Er war zusammengefahren, einen
Augenblick krampften sich seine Eingeweide zusammen, dann schüttelte er den
Kopf über sich selbst. Das Telefon! Das kam von der Gespensterseherei. Was
sollte er tun! Wenn er sich meldete, verriet er, daß ein Fremder in der Wohnung
war. Aber vielleicht war es etwas Wichtiges, vielleicht der Kommissar mit einem
Einsatz — was tat es schon, wenn irgend jemand erfuhr, daß er hiergewesen war,
er handelte im dienstlichen Auftrag. Seine Neugier siegte, das dauernde
Klingeln fiel ihm auf die Nerven. Er ging mit schnellen Schritten im Dunkeln
zum Schreibtisch und nahm den Hörer ab.
»Ja?«
»Ist dort die Praxis von Dr.
Randolph?«
Steinmanns Augen weiteten sich,
sein Mund wurde trocken. Die Stimme! Woher kannte er die Stimme?
»Ja«, antwortete er heiser.
»Mit wem spreche ich?« fragte
die Stimme wieder.
»Ich bin Dr. Randolphs
Vertreter.«
Steinmann bemühte sich, seinem
Organ den festen Ton des aufrechten Mannes zu verleihen. »Wer ist dort bitte?«
»Hier ist Stefan Warrender«,
sagte der andere, und Steinmann mußte sich setzen. »Ist Frau Dr. Randolph zu
sprechen?«
»Ist verreist«, brachte
Steinmann mühsam hervor. »Kann ich etwas bestellen?« verteufelt, was sollte er
nur machen?
»Danke, nicht nötig. Wann kommt
sie zurück?«
»In einer Woche. Soll ich Sie
vormerken?«
»Nein, danke!« Steinmann hätte
schwören können, daß Warrender ihm den Vertreter nicht glaubte. »Es ist jetzt
nicht mehr nötig. Auf Wiedersehen.«
Und er hängte ein.
Steinmann saß da und
umklammerte den Hörer. Er war wie betäubt und erfaßte erst nach und nach, was
passiert war, Warrender! Der langgesuchte Warrender! Rief hier an, während er
in der Wohnung war! Man sollte es nicht für möglich halten. Alles hätte er
erwartet, nur das nicht. Was jetzt? Das Amt anrufen und versuchen
rauszukriegen, von wo er angerufen worden war? Zwecklos. Er hatte ganz gut das
Klicken im Hörer vernommen, das man immer hörte, wenn in einer Zelle der
Sprechknopf durchgedrückt wurde.
Er legte den Hörer auf. Dieser
Warrender mußte wissen, daß Randolph tot war, er hatte nicht nach ihm gefragt,
dafür eben nach seiner Frau. Und dann die Stimme! Diese volle, warme,
vibrierende Stimme! Er kannte sie, bestimmt, er kannte sie, und es war gar
nicht lange her, daß er sie gehört hatte. Wer konnte es nur sein? Steinmann zog
sich an, verließ die Wohnung und verschloß sie sorgfältig wieder. Wie ein
Schlafwandler ging er durch die stillen Straßen, er sah nicht nach rechts und
nicht nach links und grübelte, wo er die Stimme des Mannes am Telefon schon
gehört hatte. Aber es fiel ihm nicht ein.
»Tja«, sagte Nogees, »so steht
die Sache, Dr. Marohn. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als nach Warrender
und nach dem Latschenmann
Weitere Kostenlose Bücher