4 Meister-Psychos
fallen. Er arbeitete mit radioaktiven Substanzen. Er würde bestraft
werden für einen Mord, den er nicht begangen hatte.
Der Irrtum bekam dann seinen
Sinn, und Vera würde nicht umsonst gestorben sein.
Aber ich fürchtete mich. War
die Polizei erst auf der Spur, würde sie auch die Wahrheit herausfinden. Ich
war nicht der Mann, lange Verhöre durchzustehen. Ich gab den Plan auf. Wenn
irgend jemand die wahre Ursache von Veras Krankheit herausfand, würde genau das
geschehen, was ich durch Peters’ Beschuldigung erreicht hätte. Im Hintergrund
lauerte die Gefahr.
Seit dieser Nacht kam ich zu
der Gewißheit, Vera unwiederbringlich verloren zu haben, die Furcht vor der
Entdeckung meiner Tat, und das zermürbte mich mehr und mehr. Vera litt, und ich
konnte ihr nicht helfen. Peters lebte weiter, und ich war unfähig, etwas zu
tun.
Am Abend des zwölften Juli
wollte ich Vera besuchen. Ihre Tante öffnete mir. Sie war blaß und redete
stockend.
»Vera? Ja, wissen Sie denn
nicht — sie ist in die Klinik gekommen!«
»Was? Wann?«
»Heute früh. Es kam ganz
plötzlich. In der Nacht ging es schon los...«
»Was ging los?«
»Sie — sie blutete. Es wollte
gar nicht aufhören. Ich habe meinen Arzt geholt...«
Ich wartete, bis sie sich
einigermaßen beruhigt hatte. »Wo ist sie?«
»In der Frauenklinik.«
»Wissen Sie schon etwas Näheres?«
»Nein.« Sie zerknüllte ihr
Taschentuch. »Ich bin so ängstlich!«
»Ich werde mich darum kümmern«,
sagte ich. »Entschuldigen Sie mich. Ich rufe an, wenn ich weiß, was los
ist.«
Ich lief weg, bevor sie
antworten konnte. Auf der Treppe drehte ich mich um.
»War Doktor Peters hier? Weiß
er etwas?«
Ihr Gesicht im Türspalt zeigte
Ablehnung.
»Doktor Peters war seit Ihrer
Feier nicht mehr hier.« »Seit dem Fest nicht mehr?« wiederholte ich.
»Nein.«
»Auf Wiedersehen«, sagte ich.
Seit dem Fest nicht mehr. Seit
dem Tag, den Vera sich als Anfang gedacht hatte. Für Peters war er schon das
Ende gewesen.
Von einer Zelle aus rief ich
die Frauenklinik an.
Der Stationsarzt war schon weg.
Die Schwester kannte mich nicht und versteckte sich hinter ihrer
Schweigepflicht. Der Diensthabende war im Operationssaal. Ich gab es auf.
Blutungen? Drohende Fehlgeburt.
Warum?
Hatte sie sich von Peters
überreden lassen?
War es das Strontium? Nichts
auf der Welt ist so strahlenempfindlich wie ein wachsendes Kind.
Wieder schlief ich eine Nacht
nicht.
Am Morgen kam Peters herunter,
gepflegt und mißmutig.
»Morgen. Wie weit sind mir mit
den Messungen?«
Ich ließ ihn nicht aus den
Augen, als ich meine Frage stellte: »Wissen Sie, daß Vera in der Frauenklinik
ist?«
Seine Brauen hoben sich. Seine
Augen verrieten Erstaunen. Ich wagte, von Vera zu sprechen, wenn er nach den
Messungen fragte.
Aber ich wußte, wo sein
Interesse lag.
»Frauenklinik? Wie kommt das
denn?«
Ich zog die Schultern hoch.
»Keine Ahnung. Ich erfuhr es
erst gestern abend von ihrer Tante und dachte, Sie wüßten vielleicht etwas.«
»Ich weiß nichts«, sagte
Peters. Seine Finger trommelten auf den Tisch. Ich wußte genau, was er dachte.
Wenn Vera in einer anderen Klinik gelegen hätte, wäre er zur Tagesordnung
übergegangen. Aber die Frauenklinik barg die Möglichkeit, ihm aus seinen
Schwierigkeiten herauszuhelfen. Er brauchte Gewißheit.
»Tja — dann muß ich doch gleich
mal hinübergehen. Fangen Sie bitte inzwischen mit den Messungen an.« .
»Grüßen Sie sie von mir«, sagte
ich.
Er ging ohne ein weiteres Wort.
Im Labor II baute ich den neuen
Zähler auf. Ich mußte eine lange Reihe von verschiedenen Spannungen und
Verstärkerstufen durchmessen. Der Zeiger der Stoppuhr zeigte endlose Kreise. Der
Zähler tickte und flüsterte, als wollte er mich jede Sekunde an Veras Schicksal
erinnern.
Am späten Nachmittag sah ich
Peters wieder. Er machte ein ernstes Gesicht, aber seine Augen waren heller als
am Morgen. Ich wartete, bis er sprach.
»Traurige Sache. Abort Mens
drei.«
Fehlgeburt im dritten Monat.
»Wie geht es ihr?« fragte ich.
»Bißchen anämisch. Muß
allerhand Blut verloren haben. Sonst ist alles in Ordnung.«
Ja, für ihn war alles in
Ordnung.
»Das tut mir sehr leid für
Vera«, sagte ich ruhig. »Und für Sie.«
Er fuhr sich ratlos durch das
Haar. Sein Gesicht verriet ihn. Er wollte bekümmert aussehen und schaffte es
nicht.
»Ja, nun — was soll man da
sagen? Ausgesprochenes Pech.«
Mein Trost sollte ihm in der
Kehle steckenbleiben. Ich tröstete ihn: »Das ist
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