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4 Meister-Psychos

4 Meister-Psychos

Titel: 4 Meister-Psychos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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dabeisein zu
müssen, wenn ihr Fall vor der Ärzteschaft besprochen wurde, erweckte Entsetzen
in mir. Es mußte sein. Auch ich brauchte Gewißheit,
    Ich verließ das Institut kurz
vor sechs Uhr. Wieder war es ein Donnerstag, an dem mir das bevorstand. Ein
Fluch lag auf diesem Tag. Die Bänke des Hörsaals im pathologischen Institut
waren schon gefüllt. Ich fand einen Platz außen an der obersten Reihe. Dort war
ich der Tür nahe , wenn ich es nicht mehr aushalten konnte.
    Die Rollos der großen Seitenfenster
waren heruntergefahren. Das Institut war neu, wie alle hier oben. Die Decke
bestand aus viereckigen, dicken Glasquadern. Auch sie war durch ein elektrisch
verschiebbares Dach abgedunkelt. Die Deckenlampen strahlten auf weiße Kittel
herunter. Gedämpfte Worte flogen hin und her.
    Auf der untersten Reihe nahm
die Prominenz Platz und begrüßte sich höflich, obwohl sich die meisten nicht
ausstehen konnten. Sie bildeten einen gelehrten Halbkreis. Vor ihnen stand ein
glatter, kalter Stahltisch. Ein Kasten mit langen Pinzetten und flachen Messern
stand darauf. Sie glänzten, aber sie waren nicht steril. In diesem Haus
brauchte nichts mehr steril zu sein.
    Neben dem Stahltisch waren
kleine, fahrbare Träger gerollt worden. Sie trugen verdeckte Platten und
Schalen.
    Material.
    Über allem lagerte ein fader,
feindlicher Geruch. Ein Geruch nach totem Fleisch.
    Der Pathologe war wegen seiner
Pünktlichkeit gefürchtet. Er trat vor. Mit einem Blick übersah er, ob seine
Assistenten vollzählig versammelt waren. Ein zweiter Blick ging durch den
Hörsaal. Das Geflüster verstummte.
    »Meine Damen und Herren, wir
wollen beginnen! Herr Küppers, den ersten Fall bitte!«
    Herr Küppers war der erste
Assistent. Er wog etwa ein Drittel des Gewichtes seines Chefs. Er war dünn und
Weich, und dementsprechend war auch seine Stimme.
    Her erste Fall war ein
Darmverschluß, den man nach und nach zu Tode operiert hatte. Der Chirurg gab
die Vorgeschichte. Küppers leierte den Sektionsbefund herunter. Schüsseln
gingen herum, Köpfe beugten sich darüber. Es wurde dunkel. Der Projektor warf
Vergrößerungen der mikroskopischen Präparate an die Wand, Wien, Bindegewebe,
Blutgefäße.
    Schön bunt und tot.
    »Licht!« rief Küppers.
    Langsam schlich die Helligkeit
über die Widerstand ein.
    Sie redeten, diskutierten,
erwogen.
    Ich vernahm kaum etwas.
    Es folgten noch ein paar Fälle.
Das Übliche.
    Ein metastasierender
Brustkrebs, der auch bei uns durchgegangen und bestrahlt worden war. Ein
Lungenkrebs, der es gerade noch bis zur Operation geschafft hatte.
    Ein Kind mit einem angeborenen
Herzfehler.
    Eine alte Frau mit einem
Knochenbruch, die sich auf der Station eine Lungenentzündung geholt hatte.
    Als die Lampen wieder
verloschen waren und wir unter dem Summen des Projektors im Dunkel saßen,
öffnete sich die Tür hinter mir. Eine Gestalt schlich auf leisen Sohlen vorbei
und schob sich auf einen freien Platz in halber Höhe.
    Peters.
    Als das Licht aufflammte, sah
ich, wie er sich lächelnd mit seinem Nachbarn unterhielt. Zufrieden und gut
gelaunt. Als wäre er im Kino, zwischen Wochenschau und Hauptfilm.
    Der Fall ging zu Ende. Eine
kurze Pause kam. Der Pathologe erhob sich und hüllte seine Stimme in Trauer.
»Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu einem besonders tragischen Fall.
Es ist der Fall unserer jungen Kollegin Doktor Ring.«
    Ich schloß die Augen.
    Zuerst sprach der
Frauenkliniker. Dann der Internist. Zuletzt der Pathologe.
    Ich öffnete die Augen nur ein
einziges Mal. Ich sah Peters hin. Er blickte angespannt und interessiert
hinunter.
    Reines wissenschaftliches
Interesse.
    Plötzlich war mir, als wäre ich
allein mit der Toten Vera im Raum.
    Ich wollte nicht mehr zuhören,
aber die Stimme dröhnte mir in den Ohren wie die Posaune zum Jüngsten Gericht.
    »...so sehen wir in allen
Befunden den äußerst foudroyanten Verlauf einer Panmyelophthyse, wie ich ihn in
dieser Art und Weise eigentlich noch nicht zu Gesicht bekommen habe.
Vollständiges Versagen des blutbildenden Systems — extreme Anämie — Ausfall
jeglicher Abwehrfunktion. Die Gewebschnitte werden Ihnen die hypoamische
Schädigung der Organe deutlich machen. Herr Küppers, bitte die Bilder!«
    Die Dunkelheit hüllte mich ein.
    Ich öffnete die Augen. Die
buntgesprenkelten Kreise an der Wand flammten wie eine drohende Botschaft
herunter.
    Ich sah, und mir wurde übel von
dem, was ich sah.
    Von innen erstickt war sie.
Langsam und qualvoll erstickt, Organ um

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