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4 Meister-Psychos

4 Meister-Psychos

Titel: 4 Meister-Psychos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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lausiger neugebackener Vater,
den sie so spät noch hereingelassen haben, dachte er. Der Pförtner wird immer
trotteliger.
    »Ja.«
    »Doktor Butterweis vom
Röntgen«, sagte ich. »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie aufhalte, Herr Kollege.«
    Jetzt mußte er freundlicher
sein, und es fiel ihm so sauer. Seine Hände waren lang und schmal, und sein
Mantel hätte von Dior sein können. Typischer Gynäkologe.
    »Bei Ihnen liegt Fräulein
Doktor Ring«, sagte ich. »Sie ist eine gute Bekannte von mir. Wir sind aus
demselben Nest. Ich hätte gern gewußt, was mit ihr los ist.«
    Er trat zur Seite, lehnte sich
an ein Fensterbrett und versenkte sein Kinn in der Gynäkologenhand.
    »Äh — Sie sind nicht verwandt,
oder...«
    »Ich bin nicht verwandt und
auch kein oder«, sagte ich. »Ich weiß Bescheid. Mich interessiert der
Allgemeinzustand. Sie ist so anämisch.«
    Er sah mich prüfend an.
Wahrscheinlich staunte er über meinen klinischen Blick, den er bei einem
Röntgenologen nicht erwartet hatte.
    »Ja, das ist sie allerdings.«
    »Viel verloren?« fragte ich.
    Er schüttelte seinen
Windhundschädel.
    »Gar nicht so sehr. Trotzdem
schwer abgerutscht. Saumäßiges Blutbild.«
    Ich schwieg und wartete.
    »Na, wir werden’s schon
hinkriegen«, sagte er zuversichtlich. »Ein paar Transfusionen wirken da
Wunder.«
    »Hoffentlich«, sagte ich.
»Besten Dank, Herr Kollege. Entschuldigen Sie den Aufenthalt.«
    »Aber ich bitte sie!«
    Ich spürte seine Meisterhand.
Er entschwebte. Sein heißer Mantel wehte um ihn herum, wie ein Totenlaken.
    Ich ging den Gang vor zur
Halle, durch die Schwingtür und hinaus. Aus den Fenstern fielen schräge Lichtbalken
über den Rasen. Am Himmel, der noch nicht dunkel war, stand der Mond, wie eine
mattschimmernde Münze. Vera wollte zu mir zurück. Jetzt, wo es zu spät war.
Jetzt, wo sie sterben mußte.
    Peters war abgetan. Sein Kind
würde nie zur Welt kommen. Alles hätte gut werden können.
    Mich liebte sie. Mich ihren
Mörder.
    Mir war so elend, als wäre ich
gerade zum Tod verurteilt worden.
    Ich besuchte Vera, wie ich
versprochen hatte, jeder Tag. Ich hörte ihre Zukunftspläne. Ich sah ihr
Blutbild, Die Strahlen töteten langsam. Aber sie töteten.
    Panmyelophthyse.
    Apiastische Anämie.
    Das Knochenmark ging zugrunde.
    Nach vierzehn Tagen wurde Vera
in die innere Klinik verlegt. Sie bekam täglich eine Transfusion.
    Immer mehr wurden ihre Venen
zerstochen, zuerst an dem Armen, dann an den Beinen. Es half alles nichts.
    Sie verfiel weiter. Von ihrem
Feuer und ihrer Frische war nichts übriggeblieben. Sie lag schlaff, bleich,
hilflos. Sie magerte erschreckend ab. Ihre Haut wurde durchsichtig wie dünner
Marmor. Sie bekam brandige Geschwüre in der Mundschleimhaut. Sie konnte nichts
mehr essen und nicht mehr trinken.
    Ich sah sie leiden und konnte
ihr nicht helfen. Ich ging durch ein Fegefeuer.
    Die Internisten suchten,
rieten, probierten. Sie fanden die Ursache nicht. Sie hätten nur einmal ein
Zählrohr in Veras Nähe zu bringen brauchen. Aber sie kamen nicht darauf. Und
wenn sie darauf gekommen wäre, hätte ihr nichts geholfen.
    Ich sah Vera am Tag vor ihrem
Tod. Nur eine Minute durfte ich bleiben.
    Sie lag völlig reglos. Ihr
geliebtes Gesicht war spitz und still. Ich konnte nichts sagen. Ich berührte
ihre Hand. Sie schlug die Augen auf. Alles, was noch an Leben in ihr war,
drängte sich in diese Augen.
    Hilf mir doch, sagten sie.
    Dann fielen die Lider wie ein
Vorhang und trennten mich für immer von Vera.

XIV
     
     
    Jeden zweiten Donnerstag war
Demonstration im pathologischen Institut. Der Chef war ein rotgesichtiger,
cholerischer Tyrann. Studenten fielen bei ihm fast ausnahmslos durch die Prüfung.
Studentinnen bestanden, wenn sie hübsch waren.
    An diesen Donnerstagen zeigte
er die Fälle, die in den vergangenen zwei Wochen in den Kliniken gestorben
waren. Bei dieser Gelegenheit zerpflückte er die Diagnose der behandelnden
Ärzte, bis nichts mehr übrig war.
    Ein paarmal war ich dagewesen,
hauptsächlich wegen der ergötzlichen Auftritte, die sich bei dem Streit um eine
Diagnose abspielten. Jetzt kam der Tag wieder. Ich wußte, daß Vera dabeisein
würde. Ihre Eltern hatten die Einwilligung zur Sektion gegeben, da sie
Gewißheit haben wollten.
    Ich wußte, daß die Krankheit
bisher niemandem verdächtig vorgekommen war, und wollte nun wissen, ob die tote
Vera auch die letzte Station noch passierte, ohne Verdacht zu erregen. Dann
hatte ich freie Hand gegen Peters.
    Der Gedanke,

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