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4 Meister-Psychos

4 Meister-Psychos

Titel: 4 Meister-Psychos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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verurteilt. Mein Verteidiger hatte getan, was er konnte.
    Ich habe mich an mein Leben
gewöhnt. Ich hatte geglaubt, es nicht zu ertragen. Aber ich ertrage es.
    Ich habe keine Wünsche und
keine Sorgen. Ich bin ein anderer geworden. Mein früheres Leben ist weit weg,
fahl und verblaßt, ohne Leuchtkraft, wie eine ferne Küste im Dunst.
    Nur manchmal denke ich an Vera.
Ich sehe ihr Gesicht und höre ihr Lachen. Und wenn mir in der endlosen Kette
der Tage ein Donnerstag bewußt wird, dann denke ich an mein Unglück und an den
Tag, an dem es begann, diesen Donnerstag, an dem ich beschloß, Claus Peters zu
ermorden.



Nichts sprach für Mord
I
     
     
    Alastair Maycock saß mit
gefalteten Händen vor dem Schreibtisch des verstorbenen Mr. O’Leary. Man hätte
glauben können, daß er eine Andacht hielte, aber seine Gedanken waren durchaus
weltlicher Natur.
    Vor ihm, auf der
tintenbeschmierten Platte, auf der Mr. O’Leary zahllose Pfändungsbefehle ausgefertigt
hatte, lag eine Münze.
    Sie war nicht groß.
    Die Bank von England bezifferte
ihren Wert nach der derzeit gültigen Währung auf einen Shilling. Mr. Maycock
betrachtete sie mit Ergriffenheit, denn es war nur noch diese Münze, deren
geringer Wert ihn vom Nichts trennte. Es war also weiß Gott nicht zu
befürchten, daß Mr. O’Learys Schreibtisch unter dem Gewicht seines Vermögens
zusammenbrechen würde.
    Alastair dachte an sein
unerfreuliches Schicksal. Wir möchten, um nicht weitschweifig zu werden, seinen
Zustand kurz und hart mit dem vielstrapazierten Ausdruck »pleite« bezeichnen.
    Ja, das war er: pleite.
    Er hatte alles Menschenmögliche
versucht. Übriggeblieben war der Shilling und die Überzeugung, daß er von der
Vorsehung zum nächsten Opfer der herrschenden Wirtschaftskrise auserkoren war.
    In den Redaktionen hatte man
seine Anfragen nach A rbeit
und dem Erfolg seiner Kurzgeschichten mit wieheberndem Hohngelächter
beantwortet. Ein gutes Teil von
Alastairs ehemaligem Vermögen hatte das entzückende Mädchen im Büro der
Totogesellschaft mit behenden und gepflegten Fingern eingestrichen. Das
Bewußten, mehrfach beinahe gewonnen zu haben, konnte Mr. Maycock nur
unwesentlich trösten.
    Die Bewerbungen, die er am
Schreibtisch des seligen O’Leary verfaßt hatte, zählten nach Legionen, und mit
der Summe des vertanen Portos hätte das Dach des Telegrafenamtes neu gedeckt
werden können. Was nach Alastairs Ansicht längst nötig gewesen wäre.
    In den zahllosen Anzeigen, die
er regelmäßig in der Sonnabendausgabe der »Times« unter der Rubrik
»Stellengesuche, männlich«, erscheinen ließ, hatte Mr. Maycock sämtliche
menschlichen Tugenden und Fähigkeiten in sich vereinigt. Er war gewandt, ein
Verkaufsgenie, ein Säugling an Jahren und ein Methusalem an Erfahrungen, in
sämtlichen Sparten bestens eingeführt. Alle Weltsprachen flössen von seiner
Zunge, und während er mit der linken Hand stenographierte, bediente er zwei
Schreibmaschinen mit der rechten.
    Schamlos hatte Mr. Maycock die
Hinweise, daß sich nur allererste Kräfte melden wollen, ignoriert. Er hatte in
einem Monat mehr Firmenschilder, Vorzimmer und hübsche Sekretärinnen zu Gesicht
bekommen als ein Fahndungsbeamter von der Steuer in einem Jahr.
    Umsonst.
    Die Welt schien entschlossen,
ohne Mr. Maycocks Arbeitskraft auszukommen.
    Alastair streichelte den
Shilling und seufzte. Das Bild des regsamen Mr. Swinton tauchte vor seiner
Seele auf. Mr. Swinton war klein, pfiffig und durchdrungen von der Überzeugung,
daß niemand auf die Dauer ohne Fußeinlagen auskommen könnte. Die Rückwand
seines Büros zierte der Spruch: Ein Plattfuß kommt selten allein! Auf dem
Tisch, dem Fußboden, den Stühlen und Fensterbrettern, überall wimmelte es von
Fußeinlagen.
    »Sehen Sie«, hatte Mr. Swinton
erklärt, »die Leute haben Plattfüße und wissen es nicht. Ihre Aufgabe wird es
sein, es ihnen beizubringen. Unsere Einlage hat drei Vorteile: Sie ist aus
Sheffield-Stahl. Sie erfordert zwei Nummern größere Schuhe. Und sie ist
bedeutend teurer als alle anderen. Man wird sie Ihnen aus den Händen reißen, ‘s
wird allerdings besser sein, wenn Sie Gegenden vermeiden, in denen Orthopäden
wohnen. Diese Leute sind humorlos, wissen Sie. Fürchten die Konkurrenz. Ja, und
eines noch: Selbstverständlich müssen Sie ab heute die Dinger ständig und mit
heiterer Miene selbst tragen, ‘s ist ‘n bißchen unbequem im Anfang, wissen Sie.
Behalten Sie ein, zwei Nächte die Schuhe an und schlafen Sie mit den

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