4 Meister-Psychos

herunter und zog das Rad von der Achse. Der Sand rieb an seinen Händen.
Wenige Minuten später hatte er das Ersatzrad montiert. Während er die Muttern
über Kreuz anzog, warf der alte Herr einen Blick auf seine Taschenuhr und
murmelte etwas vor sich hin.
    Alastair drehte den Wagenheber
langsam zurück, und der Wagen senkte sich lautlos. Maycock verstaute das
Werkzeug im Kofferraum und schlug dann den Sand aus seinen Handflächen.
    »O.k., Sir... Er rollt wieder.
Rate Ihnen aber, den Reifen bald flicken zu lassen.«
    Der Herr nickte eifrig.
»Verteufelt schnelle Arbeit, mein Junge. Sie haben mir aus einer großen
Verlegenheit geholfen. Hoffentlich haben Sie nichts Wichtiges versäumt.«
    Alastair winkte großmütig ab.
»Hatte nichts Besonderes vor.« Seit sechs Wochen habe ich nichts Besonderes
vor, dachte er.
    Der andere fingerte in seiner
Westentasche. »Hier - für Ihre Arbeit.«
    Alastair versuchte, erstaunt
auszusehen. »Aber...«
    »Na, los, nehmen Sie schon.
›Kann ich doch gar nicht annehmen‹ können Sie sich sparen. Bye.«
    Alastair fühlte das knisternde
Papier zwischen seinen Fingern. Er wollte noch etwas sagen, aber der andere war
schon um den Wagen herum und drin. Der Motor jaulte auf, und der Rolls bebte
wie ein lebendes Wesen. Dann drehten die Hinterräder schleifend durch, und mit
einem Satz schoß der Wagen davon.
    AXP 512, las Alastair. Kuppeln
kann er auch nicht. Ein Jammer, was für Leute in solchen Wagen sitzen.
    Seine Hand schloß sich um die
Scheine. Er hatte die Angewohnheit, bei gewissen Gelegenheiten mit sich selbst
zu wetten. Kombinationstraining nannte er das.
    Zwei Banknoten. Nach
menschlichem Ermessen je ein halbes Pfund. Weniger konnte es gar nicht sein.
Süße Enttäuschung, wenn es mehr wäre.
    Es war mehr. Alastairs
Erstaunen drückte sich in einem gedämpften Pfiff aus. Zwei Pfund! Zwei Pfund
Sterling für einen Reifenwechsel! Der Bursche mußte es wirklich eilig gehabt
haben.
    Die Laternen warfen jetzt
grelle Strahlen in die Finsternis, und ein leiser, sprühender Regen setzte ein,
aber für Mr. Maycock strahlte die Sonne.
    Zwei Pfund! Essen, Kino,
Zigaretten — alles auf einmal würde ihm gehören. Und er konnte Mrs. O’Learys
Vermieterherz trösten. Zwei Pfund! Neue Anzeigen, neue Chancen! Eine Welt
voller Hoffnung durch einen geplatzten Dunlopreifen.
    Für einen Augenblick tauchte in
Mr. Maycock der Gedanke auf, von seinem eben verdienten Kapital einen Posten
kräftiger Nägel zu erstehen, sie unauffällig auf einigen stilleren Straßen zu
verteilen und sich den fluchenden Autobesitzern als routinierter Reifenwechsler
anzubieten. Aber er verwarf die Idee. Nicht jeder von ihnen würde einen Rolls
fahren und mit Pfundnoten um sich werfen. Der Hunger meldete sich wieder, als
Alastairs freudige Überraschung sich legte. Essen! Viel und gut, das war das
Vordringlichste.
    Er legte seine beiden Noten in
die Brieftasche, deren brüchiges Leder solche Beträge seit geraumer Zeit nicht
mehr umschlossen hatte. Sollte er wieder in Cummings’ schmierigen Laden gehen?
Nimmermehr. Ein Mann mit seinem Vermögen hatte es nicht nötig, in einer Kneipe
zu essen, wo die Tapetenfetzen an den Wänden flatterten, Wenn die Tür geöffnet
würde, und wo es nach Rotkraut und verbrannten Zwiebeln stank.
    Mit einem Ruck wandte er sich
um und stieß dabei mit einem kleinen Herrn zusammen, der gerade die Straße
überqueren wollte.
    »Sorry«, sagte Alastair.
    »Excuse me«, sagte der andere
und hastete weiter.
    »Tut nichts«, rief Alastair ihm
nach. Er war in der Stimmung, alles zu verzeihen.
    Mit langen Schritten lief er
über das feuchte Pflaster. Die Straßen wurden heller, und der Verkehr nahm zu.
Glänzende Wagen glitten lautlos an Alastair vorüber. Hin und wieder wehte eine
zarte Duftwolke ihn an, wenn ein Mädchen seinen Weg kreuzte.
    Als er an einer Straßenecke
stehenblieb, sah er in der Querstraße, vielleicht zweihundert Fuß entfernt,
über einem spitzbogigen Portal den tiefroten Schein von Neonbuchstaben.
    » Little Paris « las er, als er davorstand.
    Klein-Paris. Der Wagen an der Bordschwelle
zu beiden Seiten des Eingangs ließen auf zahlungsfähige Gäste schließen. Der
allgemeinen Lage Mr. Maycocks hätte es weit eher entsprochen, reumütig zu
Cummings’ Destille zurückzukehren und sein Vermögen weise einzuteilen. Allein
das leichtsinnige Blut seiner Vorfahren schwemmte die Bedenken hinweg.
    Der purpurgoldene Portier warf
einen kühlen Blick auf den mageren Mann im Trenchcoat.