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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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weiter vorwärts. Ich folgte ihr.
    Obgleich es die Umstände erforderten, daß ich meine volle Aufmerksamkeit auf die Umgebung richtete, konnte ich doch nicht umhin, an das Verhalten des Mädchens zu denken, welches mit der vollständigen Gewandtheit eines erfahrenen Waldläufers sich geräuschlos durch das Gestrüpp arbeitete und in jeder seiner Bewegungen ein Bild der angestrengtesten Vorsicht bot.
    Es war gar nicht anders möglich, sie mußte schon von Jugend auf mit dem Leben im ‚Jagdland‘ vertraut sein, mußte Eindrücke empfangen haben, welche ihre Sinne geschärft, ihr Gefühl gehärtet und dem Lauf ihres Schicksals eine so ungewöhnliche Richtung gegeben hatten. Aber trotz alledem wirkte die vorhin gezeigte Nervenstärke fast erkältend auf mich, und die Glorie, mit welcher meine Erinnerung ihr Bild umgeben hatte, ward von der rauhen, rücksichtslosen Wirklichkeit verdunkelt.
    Die Angst, welche sie vorhin gezeigt, als ich im Begriff stand, mich auf den Indianer zu stürzen, hätte mich in anderer Lage beseligen können; aber die dabei ausgesprochenen Worte ‚ich werde es an Eurer Stelle tun‘ mußten mir die Überzeugung geben, daß sie mit ruhigem Blut und ohne zaghaftes Bedenken ein Menschenleben zu zerstören vermöge, und ich konnte die Ansicht nicht von mir weisen, daß Büchse und Messer in den Händen des Mannes Waffen, in denen eines Weibes aber Mordinstrumente seien.
    Wohl beinahe eine Stunde lang waren wir ununterbrochen vorwärts gedrungen, als wir an eine zweite Biberkolonie kamen, deren Bewohner aber nicht außerhalb ihrer Wohnungen zu erblicken waren.
    „Hier haben wir die Fallen gestellt, welche wir den Rothäuten wieder abgenommen haben, Sir, und weiter droben teilt sich der Bee-fork ab, wo wir ursprünglich hin wollten. Doch wird's wohl anders kommen; denn, seht, die Spuren laufen nach dem Wald, aus welchem sie gekommen sind. Wir müssen sie verfolgen.“
    Sie stand im Begriff, weiter zu gehen, als ich sie zurückhielt.
    „Miß Ellen!“
    Sie blieb stehen und sah mich fragend an.
    „Wollt Ihr nicht lieber umkehren und das andere mir allein überlassen?“
    „Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“
    „Kennt Ihr die Gefahren, welche unserer da vorn vielleicht warten?“
    „Warum sollte ich nicht? Sie können unmöglich größer sein als diejenigen, denen ich schon getrotzt und die ich überwunden habe.“
    „Ihr müßt Euch erhalten!“
    „Das will und das werde ich ja auch. Oder glaubt Ihr etwa, daß mich der Anblick eines bunt bemalten Mannes zu erschrecken vermöge?“
    „Ich wollte, es wäre so!“
    „Wirklich?“
    Sie sprach das Wort langsam und gezogen aus, und ihre Augen ruhten mit forschendem Blick auf meinem Angesicht. Aber ich sah ein leises und nach und nach sich immer mehr vertiefendes Rot in ihre Wangen steigen und wußte nun, daß sie mich verstanden hatte.
    Ihr Auge suchte den Boden, und ich bemerkte deutlich, daß sie mit ihren Gefühlen kämpfte.
    „Ist ein weibliches Wesen hassenswert, wenn es dasselbe tut, was sonst nur dem Mann gestattet ist?“
    „Hassenswert, nein“, antwortete ich, die beiden ersten Silben betonend; „aber der Haß ist nicht das einzige, was man gewöhnlich zu vermeiden strebt.“
    Eine ganze Weile verging im Schweigen, ehe sie den Blick wieder erhob und ihn voll und groß auf mich richtete.
    „Ihr urteilt nach dem Augenblick und legt den Maßstab der Gewöhnlichkeit an Verhältnisse, welche mehr als ungewöhnlich sind, die meinem Leben den Wahlspruch der Rache und des Kampfes gegeben haben; jetzt aber kommt; wir dürfen nicht unvorsichtig oder nachlässig sein.“
    Wieder ging es vorwärts. Wir entfernten uns jetzt vom Fluß und schritten leicht zwischen den schlanken und freien Stämmen des Hochwaldes hin, welcher ein dichtes, grünes Dach über den mit feuchtem Moos überzogenen Boden wölbte, infolge dessen weicher Beschaffenheit wir die Fußeindrücke ohne besonderen Scharfsinn erkennen konnten.
    Da blieb Ellen, welche immer noch voranschritt, stehen. Es waren jetzt die Spuren nicht von zwei, sondern von vier Männern zu erkennen, welche zusammen gegangen waren und sich hier getrennt hatten. Die beiden von uns unschädlich Gemachten hatten die vollständige Kriegsbewaffnung getragen, und da ich annahm, daß eine größere Anzahl ihrer Stammesgenossen vorhanden sei, welche nur durch ein wichtiges Unternehmen veranlaßt sein konnte, einen so weiten Weg mitten durch das Gebiet feindlicher Horden zu machen, so kam ich jetzt auf den

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