40 - Im fernen Westen
einigen Minuten geschehen. Es waren fünf Tote, die gänzlich ausgeraubt worden waren. Nur bei dem einen fand ich ein altes Notizbuch, auf welchen der Name John Helming stand. Wir bedeckten die Leichen einstweilen, so gut es ging, und verfolgten dann die Spuren der Mörder. Es waren ihrer viele. Sie hatten den Toten die beladenen Maultiere abgenommen und kamen also nur langsam vorwärts. Als wir sie einholten, zählte ich vierzehn Mann, aber doch machten wir uns über sie her. Sie waren uns überlegen, und ich war fast noch ein Neuling hier im Westen; kurz und gut, wir zogen den kürzeren. Sie verloren einige Männer, und der Anführer verlor einen Teil seiner Gesichtshaut. Er hatte bei einem Streich Winnetous den Kopf noch zur rechten Zeit zur Seite gebogen, und darum wurde ihm nicht der Kopf gespalten, sondern die Schneide des Beils glitt ihm längs der Wange herab und zeichnete ihn so für alle Zeit. Wir begruben die Toten, und das Notizbuch nahm ich zu mir. Ein Regen verwischte die Spuren der Mörder. Ich habe die Sache mit dem Notizbuch öfters annonciert, aber niemand hat sich gemeldet. Jetzt trage ich es hier im Gürtel. Als ich mich drüben aufmachte, um die Savanne abermals zu sehen, steckte ich es zu mir. Man kann nie wissen, was man erlebt und erfährt.“
Ich erzählte nun in Kürze weiter von meinem Aufenthalt in Fort Cast, als ich geendet hatte, rief Brandes: „Sir, das ist ganz außerordentlich! Ihr müßt sofort nach dem Shayansee und wir mit Euch!“
„Ja, auch ihr, doch nicht mit mir. Ich bin beritten, ihr aber müßt laufen. Ihr könnt direkt über die Berge, ich aber muß nach dem Tonque, um Winnetou zu treffen. Wir trennen uns hier, werden aber wohl zu gleicher Zeit am See eintreffen. Übrigens dürft ihr nicht vergessen, daß das ‚Tötende Feuer‘ mit seinen Tetongs hinter den Dieben her ist; sie können also weder ihren Raub ausführen noch uns entkommen. Ich bleibe keine Viertelstunde länger und breche sofort auf.“
„Wir auch, wir auch, Sir. Aber was sollen wir dem Ölprinzen sagen, wenn wir eher kommen als Ihr?“
„Sagt ihm, daß er sich schleunigst gegen den Überfall dieses Olbers rüsten soll. Über seinen Schwager wird er das weitere erfahren, sobald ich bei ihm bin!“
Es ist nur unter ganz dringenden Umständen geraten, zu Pferd bei Nacht durch eine unbekannte Waldwildnis zu dringen, doch Übung und Ortssinn lassen vieles überwinden. Als der Morgen anbrach, befand ich mich bereits am Fuß der Höhen, und nun konnte ich meine Schnelligkeit verfünffachen. Noch am Vormittag erreichte ich die Wasserscheide, und gegen Mittag hatte ich den oberen Lauf des Tonque vor mir.
Nun galt es, Winnetou zu finden. Das scheint schwerer zu sein, als es eigentlich war. Wir hatten uns schon öfters getrennt und doch selbst in der felsigsten Einöde, im tiefsten Urwald wiedergefunden. Wir hatten unsere Zeichen, die kein anderer bemerken konnte.
Ich ritt das Wasser entlang und beobachtete die in demselben liegenden Steine. Da, bereits nach einer Viertelstunde, bemerkte ich zwei nebeneinander im Wasser liegende Kiesel, zwischen denen drei dünne Zweige eingeklemmt waren; zwei waren kahl, und der dritte hatte seine Seitenästchen und Blätter noch. Die Spitze zeigte aufwärts. Das war eines unserer Zeichen. Winnetou hatte es errichtet. Die Spitze des belaubten Zweiges sagte mir, wohin er geritten sei, und die beiden anderen Zweige zeigten genau gegen den Punkt des Himmels, wo die Sonne zu der Zeit gestanden hatte, an welcher er das Zeichen errichtete. An der Frische der Blätter konnte ich den Tag, ob heute, gestern oder noch eher, erkennen.
Auf diese Weise erfuhr ich, daß der Apachenhäuptling heute vormittag um neun Uhr hier gewesen sei. Da er hier nicht nötig zu haben glaubte, seine Fährte zu verwischen, so fand ich sehr bald die Spur seines Pferdes und folgte derselben. Ich fand den Ort, an welchem er in der heißesten Tagesstunde geruht hatte, und da stak auch das sichere Zeichen, daß er hierher zurückkehren werde, um sein Nachtlager hier aufzuschlagen. Dieses Zeichen bestand einfach aus einem kleinen, dünnen Pulverholzästchen, welches mit dem einen Ende im Boden steckte. Es konnte dazu jede Holzart, Holunder usw. benutzt werden, deren Mark sich leicht entfernen läßt. Das sah so zufällig aus, daß der erfahrenste Trapper, der scharfsinnigste Wilde nicht auf den Gedanken gekommen wäre, hier vor einer deutlich lesbaren Schrift zu stehen. Auf solche Weise beherrscht man die
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