40 - Im fernen Westen
öde Llano, die weite Prärie, das wilde Gebirge und den dichten Urwald. Durch solche unscheinbare Mittel sind Männer wie Winnetou, Old Firehand, der lange Hilbers, Fred Walker, Sam Hawkens und andere zu ihrer Berühmtheit gekommen.
Ich kannte sie alle und hatte von ihnen viel, ja alles gelernt. Es ist mit dem Wilden Westen wie mit dem Wasser: man darf nicht zagen, man muß sich, um schwimmen zu lernen, mutig hineinstürzen; es trägt den Menschen von selber, und die Lehrlingszeit vergeht um so schneller, je größeren Eifer man der Übung widmet.
Ich hobbelte mein Pferd an, ließ es grasen und legte mich nieder. Dies war noch nicht lange geschehen, so hörte ich in der Ferne den Knall einer Büchse. Das war der scharfe, sonore Ton, den nur Winnetous mit Silbernägeln beschlagenes Gewehr hervorbrachte. Für den Laien ist es fast unbegreiflich, daß zwei Jäger einander an dem Knall ihres Gewehrs erkennen sollen; aber wer jahrelang die Stimme einer Büchse gehört hat, der weiß dieselbe von dem Ton eines jeden anderen Gewehrs zu unterscheiden.
Ich zog sofort meine Büchse hervor und feuerte sie ab; ich war überzeugt, daß Winnetou ihren Knall auch sofort erkennen werde. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn bereits nach zehn Minuten hörte ich den nahenden Galopp eines Pferds, und dann hielt der berühmte Häuptling der Apachen vor mir.
„Ni ti, Scharlih? Nsho-peniyil! Shi mazakan ni yaltile – du hier, Scharlih? Willkommen! Ich hörte deine Büchse sprechen.“
Scharlih, so sprach er nämlich meinen englischen Vornamen Charles oder Charley aus. Er sagte seine Worte in einem Ton und mit einer Miene, als ob wir uns erst vor fünf Minuten getrennt hätten und uns an einem Ort befänden, wo gar keinerlei Nachdenken erforderlich ist, sich wieder zu treffen.
Er sprang aus dem Sattel, ließ sein Pferd frei laufen und stand nun vor mir als das Prachtexemplar eines Indianers.
In den Augen eines Westmannes hatte er allerdings den Fehler, der auch an mir so oft getadelt worden war: er vernachlässigte sein Äußeres nie. Die Wildnis war nie imstande, seinen Anzug so zu beschmutzen und seine Waffen so zu verrosten, wie es bei anderen geschieht. Seine breiten Schultern und seine starke, mit Narben bedeckte Brust waren ganz nackt. Um die Hüften trug er als Shawl eine Santillodecke, über welcher ein wasserdichter Ledergürtel lag, dessen Inneres gleich demjenigen des meinigen zur Aufbewahrung wertvoller Kleinigkeiten diente, in welchem aber auch das Skalpmesser, der glänzende Tomahawk und zwei Revolver steckten. Eine Wildlederhose, welche sich eng um seine muskulösen Schenkel legte, war an den Seiten mit den Skalplocken getöteter Feinde geschmückt. Das vorn offene Jagdhemd, aus dem feinsten Rehleder bereitet, trug denselben Schmuck. Gamaschen, deren Zeug aus den Haaren der von ihm Erlegten geflochten war, bedeckten seine Unterschenkel, und an den Füßen saßen ein Paar Mokassins, an welchem eine fleißige indianische Squaw sicherlich monatelang gearbeitet hatte. Von den Schultern hing der aus dem schweren Fell eines grauen Bären gefertigte Mantel herab. Um den Hals hing an einer aus Bärenzähnen bestehenden Kette das Kalumet. Sein Kopf war unbedeckt, und das Haar war zu einer helmartigen Frisur geordnet, in welcher die drei Häuptlingsfedern steckten. Um seine Hüften hing das unzerreißbare Lasso, und in der Faust hielt er seine kostbare, silberbeschlagene Büchse, aus welcher, von seiner Hand geschossen, noch niemals eine Kugel fehlgegangen war. Seine Stirn war hoch, seine Nase fast römisch zu nennen, und die fast unmerklich hervortretenden Backenknochen vermochten nicht, dem männlich schönen, ernsten und dabei doch wohlwollenden Ausdruck seines Gesichts Eintrag zu tun.
Das war Winnetou, der berühmteste Häuptling der roten Männer, der aber dennoch niemals einen Stamm befehligte, sondern einsam oder nur mit einem Freund die Savannen und Gebirge durchritt, um zu zeigen, daß auch ein Indianer ein Held und Mensch sein kann.
Er nahm an meiner Seite Platz, und ich bot ihm eine der Zigarren an, welche ich mir im Fort gekauft hatte. Kein Pariser Elegant hätte dieselbe mit größerer Zierlichkeit zum Mund führen und anrauchen können.
„Mein Bruder Scharlih ist wieder gesund?“ fragte er.
„Ja, gesund und reich. Ich habe für die Felle über zweihundert silberne Dollar erhalten; sie befinden sich in meinem Gürtel.“
„Sie sind dein! Winnetou braucht keine Dollar. Er weiß, wo das Gold und das
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