40 Stunden
Ira. In ihren Augen stand Teilnahme, und er wusste nicht, mit wem sie fühlte. Mit dem Syrer oder mit ihm. Er schluckte.
» Wegen seines arabischen Aussehens. Er wurde permanent mit Vorurteilen konfrontiert, und am Ende trieb ihn das dazu, genau die Tat zu begehen, die man ihm andauernd unterstellte.«
Er dachte daran, wie er im Museum gestanden hatte.
Ich bin Muslim, wie Sie, hatte er gesagt.
Und damit den Tropfen hinzugefügt, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Auch er hatte geglaubt, hinter der Geiselnahme steckten islamistische Motive. Obwohl er selbst Araber war, obwohl er zur SERV gehörte und tagtäglich erlebte, wie viele Verbrechen zwar ein religiöses Motiv, aber nichts, rein gar nichts mit terroristischen Hintergründen zu tun hatten, war er diesem fatalen Irrtum erlegen.
Und hatte den Geiselnehmer dazu getrieben, auf den Auslöser zu drücken.
Er rieb sich die Stirn bei diesen Gedanken.
Das Thema wurde ihm zu erdrückend, also versuchte er, es zu wechseln. Er hob den Blick. » Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Bist du verheiratet?«
Langsam schüttelte sie den Kopf. » Es gab da mal jemanden.« Ihre Züge verhärteten sich so abrupt, dass Faris erschrak.
» Er ist tot«, rutschte es ihm heraus, doch zu seiner Überraschung schüttelte Ira erneut den Kopf. Diesmal lächelte sie dabei.
» Nein, das ist er nicht. Mein Leben verläuft nicht so dramatisch wie deines, fürchte ich. Thomas…« Kurz flog Wehmut über ihr Gesicht, als sie den Namen aussprach. » Er ist katholischer Priester.«
Faris verstand nicht, was sie ihm damit sagen wollte.
» Katholische Priester dürfen nicht heiraten. Thomas und ich– wir hatten eine Beziehung, bis vor wenigen Wochen. Wir mussten sie geheim halten, weil sie ihn sonst seinen Job gekostet hätte.« Sie zog die Schultern hoch. » Am Ende hat er sich für sein Amt entschieden.«
» Verstehe.« Faris zwängte einen Schluck Kaffee durch seine schon wieder enge Kehle.
Ira trank ebenfalls. » Du siehst ihm ähnlich.«
Faris fing seinen eigenen Blick auf, der sich in der Fensterscheibe spiegelte. Draußen war es jetzt schon fast hell, und so konnte er sich nur undeutlich sehen. Zu lange, wirre Haare. Gerötete Augen. » Ich ähnele einem deutschen katholischen Priester?«
» Deine Augen tun es.« Sie schauderte. Das Thema schien ihr unangenehm zu sein.
Eine Weile schwiegen sie beide.
» Wohin gehst du, wenn du nicht alleine sein kannst?«, wollte Faris schließlich wissen.
Wenn die Frage sie überraschte, dann ließ sie es sich nicht anmerken. » Ich habe eine Freundin. Jasmin. Eine Italienerin. Ihr Vater hat eine Trattoria in Charlottenburg. Da Rossi heißt sie. Wenn ich das Gefühl habe, mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf, fahre ich dorthin, und hinterher geht es mir meistens b…«
Mitten in ihre Worte hinein ertönte das Zirpen von Faris’ Smartphone, und seine Hand zuckte hin. Ira sah ihm ins Gesicht. Sie wurde bleich. » Der Bombenleger?«, flüsterte sie.
Faris nickte düster. Dann ging er ran.
Er meldete sich nicht, sondern wartete einfach ab.
» Wer ist da?«, fragte die verzerrte Stimme des Anrufers.
» Was glaubst du?« Faris sprach durch zusammengebissene Zähne.
» Faris?« Eine kurze Pause. » Du lebst?«
Die Überraschung des anderen war deutlich zu hören, und noch etwas anderes schwang in dieser Frage mit. Faris war sich nicht sicher, aber in seinen Ohren klang es fast wie Erleichterung. Die nächsten Worte des Anrufers machten ihm klar, dass er sich nicht getäuscht hatte.
» Wie schön! Dann können wir unser Tänzchen ja fortsetzen.«
Es war nicht nur Erleichterung, es war Freude. Freude darüber, dass die sadistischen Spielchen noch nicht zu Ende waren. Zorn traf Faris mitten ins Herz und fegte die Lähmung, die ihn nach Pauls Tod ergriffen hatte, mit einem einzigen Handstreich hinweg. » Ich lebe!«, zischte er. » Aber mein Partner ist bei der Explosion der Gartenlaube draufgegangen, und wissen Sie…«
» Paul Sievers ist tot?« Für einige Momente war es ganz still in der Leitung.
Dann legte der Unbekannte auf.
***
Im Laufe der Nacht hatten Dennis und Jenny verschiedene Clubs ausprobiert, und der letzte, den sie gegen Morgen betraten, war so voll gewesen, dass sie es dort nur eine Viertelstunde aushielten.
Jenny hatte gekichert, als sie aus der stickigen, musikgeschwängerten Luft wieder ins Freie getreten waren. Im Osten hatte sich der Horizont bereits hell gefärbt, und es war ein
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