40 Stunden
er den Reporter deswegen anrufen sollte, aber vermutlich war das vertane Zeit. Durch die Explosion waren Hesses Computer zerstört worden. Auf diesem Weg gab es keine Möglichkeit mehr, an den Attentäter heranzukommen.
Faris starrte nachdenklich vor sich hin und beobachtete Shannon dabei, wie sie vor der Fallwand auf und ab wanderte. Sie studierte einen Farbausdruck, der eine Szene aus dem Kreuzigungsvideo zeigte. Von seinem Platz aus erkannte Faris den Mann mit der Kapuze, der Werner Ellwanger festgenagelt hatte. Er war im Profil aufgenommen, aber da ihm die Kapuze tief ins Gesicht gezogen war, konnte man außer seiner Nasenspitze nichts erkennen.
Einer Eingebung folgend, stand Faris auf und ließ sich von Shannon den Ausdruck geben. Dann ging er zu Gittas offenstehender Bürotür und klopfte an den Rahmen. » Entschuldigen Sie, Frau Jenssen«, sagte er. » Können Sie sich das bitte einmal ansehen und mir sagen, ob dieser Mann Alexander sein könnte?« Er reichte Ira das Blatt.
Lange Zeit schaute sie darauf, und Faris ahnte, dass ihr Blick an dem Hammer hängengeblieben war, den die vermummte Gestalt deutlich sichtbar in den Händen hielt. Zweimal schluckte Ira schwer, schließlich gab sie Faris den Ausdruck zurück. Bedauernd schüttelte sie den Kopf. » Tut mir leid. Man sieht ja kaum etwas von ihm. Von der Statur her könnte er es aber sein.«
» Das Kapuzenshirt«, hakte Faris nach. » Haben Sie Alexander damit mal im Gottesdienst gesehen?«
Jeder noch so kleine Hinweis konnte helfen, dachte er, aber ihm war bewusst, dass er sich an Strohhalme klammerte.
Ira ließ sich das Bild erneut aushändigen. Wieder brauchte sie einen Moment, bevor sie antwortete. » Es ist einfach nur schwarz. Tut mir leid, Herr… Iskander.«
» Macht nichts.« Er nahm ihr das Blatt ein zweites Mal ab. » Trotzdem danke.«
Shannon hatte sich inzwischen einer der Listen zugewandt und grübelte darüber nach. Faris heftete den Ausdruck wieder an die Fallwand und kehrte zu seinem Kaffee zurück. Der Schreibtischstuhl ächzte, als er sich darauf niederließ.
Paul hatte die Arme auf die Tischplatte gestützt und trank schweigend. Als er bemerkte, dass Faris ihn musterte, lächelte er ihm müde zu. Ein warmes Gefühl stieg in Faris’ Brust auf. Das hier war seine Familie, dachte er, und ihm kamen die Worte des Anrufers in den Sinn.
Wenn du nicht tust, was ich sage, stirbt jemand, an dem dir ein bisschen mehr liegt …
Die Wärme in seiner Brust wurde abgelöst von einer beklemmenden Enge. Was würde er tun, wenn der Mistkerl einem seiner Kollegen etwas antäte? Er schluckte, doch der Druck, der auf ihm lastete, verschwand nicht. Durch die Glasscheibe ihres Büros hindurch begegnete ihm Gittas Blick. Sie nickte aufmunternd.
Ira wandte ihm den Rücken zu. Sie wirkte verloren in dieser für sie ungewohnten Umgebung. Faris schob den wiederkehrenden Anflug von Endzeitstimmung von sich, der nach ihm greifen wollte.
Er konzentrierte sich auf das Standbild des Gekreuzigten, das Ben ausgedruckt und an die Fallwand gepinnt hatte. Direkt darunter stand ganz am Ende der Liste Täter Alexander Ellwangers Name. Jemand hatte ihn dick unterstrichen und mit einem schwungvollen Ausrufezeichen versehen, das in Faris’ Augen ein wenig zu optimistisch aussah.
Sein Magen protestierte gegen den bitteren Kaffee mit einem leichten Krampf, und ihm wurde bewusst, dass er heute noch nicht einen Bissen fester Nahrung zu sich genommen hatte. Er hatte nicht den geringsten Hunger. Er wies auf den Farbausdruck, der den Mann mit Kapuze zeigte. » Wir sollten davon ausgehen, dass das Alexander ist.«
Statt etwas zu erwidern, nahm Shannon einen Schwamm und wischte das Ausrufezeichen aus. » Glaube ich auch. Aber ist er auch der Anrufer?«
Paul stellte seinen Kaffeebecher ab. » Der Anrufer hat ›mein Vater‹ gesagt, darum würde ich das vermuten, ja. Wir haben das überprüft: Werner Ellwanger hat nur einen Sohn.«
» Aber dagegen würde sprechen, dass Frau Jenssen ihn nicht für fähig hält, ein solches Verbrechen zu planen«, warf Faris ein.
Gitta hatte ihn gehört. » Frau Jenssen hat recht«, meinte sie über den Kopf der Pfarrerin hinweg, die konzentriert die Liste mit den Museumsopfern studierte und nur ganz kurz aufsah. » Ich habe inzwischen eine ehemalige Lehrerin von Alexander ausfindig gemacht und ihr ein paar Fragen gestellt. Sie sagt auch, dass Alexander zurückgeblieben ist.« Sie konsultierte den Block, den sie neben ihrem Computer liegen
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