41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Gästezimmer auf und zog sich um. Sie würde den restlichen Freitag damit verbringen, ihre Tongefäße zu bemalen, Glasuren anzubringen und alles für den morgigen Markttag einzupacken, was sie mitnehmen wollte.
Louise liebte die Samstage, an denen sie aufs Land zu einem Flohmarkt in dem pittoresken Dorf Anchieu fuhr, um ihre Kostbarkeiten an fremde Menschen zu verkaufen, die sich daran erfreuten.
Schon kurz, nachdem sie mit sechzehn Jahren von Marseille nach Paris gekommen war, hatte sie ihre Liebe für Flohmärkte entdeckt. Anfangs, weil sie sich nirgends sonst Kleidung kaufen konnte, die für sie leistbar war, später dann besuchte sie samstags Märkte, um das ungezwungene Flair zu genießen und Kontakte zu den Marketendern zu knüpfen. Bei ihren Besuchen hatten sie immer die rudimentären Gefäße aus Ton fasziniert und sie hatte davon geträumt, einmal selbst mit ihren eigenen Händen runde Becher, Vasen und Schalen zu formen. Ausgerechnet in Anchieu hatte sie damals eine alte, verrostete Drehscheibe erstanden und es war Jahre später wieder in Anchieu gewesen, wo sie ihren ersten klapprigen Brennofen erfeilscht hatte. Er hatte gerußt und war sein Geld nicht wert gewesen, doch nie war sie so stolz gewesen, als sie ihm ihre erste zersprungene Obstschale nach einem schier endlosen Brennvorgang entnommen hatte.
Mit wachsendem Kundenkreis waren auch ihr Selbstvertrauen und Vermögen gewachsen. Sie hatte sich in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt und was die Töpferei betraf, verfügte sie mittlerweile über einen eigenen Töpferraum, eine moderne, elektrische Drehscheibe, einen preisgünstigen Tonund Glasurenlieferanten sowie einen perfekten, umweltfreundlichen Brennofen mit hoher Heizkapazität, der so groß war, dass sie darin in mehreren Lagen gleichzeitig brennen und glasieren konnte.
Sie hatte auch einen Standplatz am Markt in Anchieu gemietet, der während der Woche von einer alten Witwe liebevoll gepflegt und gehegt wurde. Jeden Samstag packte Louise die Schachteln mit ihren frisch gebrannten, neuesten Kreationen im Flur zusammen und wartete auf den Lieferwagen, der von einer Mietwagenfirma frühmorgens gebracht und spätabends wieder geholt wurde. Der junge Mann, der für diesen Service zuständig war, hatte sich mit der Aussicht auf regelmäßiges Trinkgeld als sehr hilfsbereit und freundlich erwiesen und half ihr stets, den Lieferwagen zu beladen. In Anchieu verliefen die Samstage nach festen, liebgewonnen Ritualen: Ankommen, von der alten Witwe umarmt werden, alle Kostbarkeiten auspacken und am Markttisch dekorativ drapieren, mit den Standnachbarn ein Schwätzchen halten, zwischendurch immer wieder kurz ins Café auf einen Sherry, Espresso oder ein Croissant, mit den Kunden scherzen und Rabatte gewähren, lachen, abends alles dingfest machen, den Stand schließen, die alte Witwe bezahlen, sich von allen verabschieden und winkend mit dem Lieferwagen wieder zurück nach Paris aufbrechen.
Louise hatte erst zwei Mal in den letzten zwanzig Jahren einen Samstag versäumt: Einmal hatte sie eine schwere Lungenentzündung ans Bett gefesselt, das andere Mal war ihr alter Brennofen explodiert und hatte nicht nur die Töpferkammer, sondern auch ihre wertvollen Kunsthandwerke ruiniert. Glücklicherweise war er schon zu schwach gewesen, um das ganze Haus in die Luft zu jagen.
Die Samstage waren ihr heilig, die ganze Woche arbeitete sie hart dafür, einen Tag in der Woche unbeschwert unter einfachen, ehrlichen Menschen zu verbringen, sorglose Freude und Ruhe zu empfinden und von niemandem als alte Hure behandelt zu werden.
Auch heute gab es noch genug zu tun. Der Besuch am Polizeirevier, Marta, Alette und Hendrik hatten sie wertvolle Zeit gekostet, der Brennofen musste schnell angeworfen werden, damit alles rechtzeitig für den morgigen Flohmarkt fertig wurde.
Als allererstes aber musste die Asche sorgfältig mit Hilfe eines alten Staubsaugers aus dem Ofen entfernt und durch einen Schlauch in einen neuen, vorbereiteten Tonkrug abgefüllt werden.
Der Ermittlungsleiter
Marcel war frustriert. Die Befragungen des weiblichen Freudentrios hatte nichts Verwertbares ergeben. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie nicht ganz die Wahrheit gesagt hatten, es erschien ihm unglaublich, dass alle drei keinen der verschwundenen Männer gekannt haben wollen. Jean Nummer 11 war auch kein Treffer. Sieben Männer hatten sich nachweislich im Viertel rund um die Rue Loubert herumgetrieben, waren von Verkäuferinnen, Passanten
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