41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
stärkenden Kräutertees und frischer Wäsche versorgt.
Die Alte tat dies nicht aus Mitgefühl, Menschenliebe oder weiblicher Solidarität, sondern weil sie wollte, dass die bildhübsche, blutjunge Rivalin so schnell wie möglich aus Marseille und damit dem Dunstkreis der Dirnen in ihrem Viertel verschwand.
Als Louise soweit wieder genesen und kräftig genug war, dass sie sich selbständig auf den Beinen halten konnte, setzte sie die alte Hure in das Führerhaus eines klapprigen Schweinetransporters, drückte ihr einen Stoffbeutel mit etwas Essen, frischer Kleidung und einigen Münzen in die Hand und erklärte, während sie mit ihrem Kopf in Richtung des Fahrers nickte, dessen Grinsen verfaulte Zähne und dunkle Löcher sehen ließ:
„Wenn du tust, was er von dir will, nimmt er dich mit bis nach Paris. Du brauchst nicht dafür zu bezahlen. Wenn nicht, wirft er dich irgendwo am Land hinaus und du wirst deine blauen Wunder erleben.“ Ohne Louises Antwort abzuwarten und ohne ein weiteres Wort knallte sie von außen die verbeulte Autotür zu und machte sich erleichtert auf den Weg in ihre Kneipe, um sich einen wohlverdienten Absinth zu genehmigen.
Sie hatte ihre Pflicht getan. Ihr war völlig gleichgültig, was mit dem Mädchen von nun an geschah.
Marcel
Marcel erwachte mit pochenden Kopfschmerzen und furchtbar gereizten Magennerven. Er löste ein Aspirin auf, trank das Glas in einem Zug leer und stellte sich unter die Dusche. Während das heiße Wasser auf seine Schultern prasselte und seine Lebensgeister langsam wieder erwachten, überlegte er, was er mit seinem dienstfreien Samstag anfangen könnte. Ihm wollte nichts Rechtes einfallen.
Gelangweilt beschloss er, sich zu Fuß auf den Weg in die Rue Loubert zu machen, um seinen Dienstwagen selbst abzuholen. Der Spaziergang würde ihm gut tun, den Alkohol aus seinen Poren und die Feuerwerke aus seinem Kopf zu treiben.
Auf dem langen Weg durch die Pariser Innenstadt bis zu Louises Haus plante er sein weiteres Vorgehen.
Er würde auf jeden Fall eine Hausdurchsuchung sowie DNAAnalyse samt Abnahme von Fingerabdrücken in Louises Appartement beantragen. Er musste mit Widerstand aus den obersten Etagen der Polizeiriege rechnen, allen voran der Polizeipräsident. Er würde es trotzdem versuchen und im Notfall auch mit den Medien drohen. Aber damit musste er bis nach dem Wochenende warten, heute wäre niemand erreichbar, kein Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter, der ihm Formulare und Anträge ausstellen würde, wenn nicht absolute Gefahr im Verzug wäre.
Bei seinem Dienstwagen angekommen, hatte er noch immer keine konkrete Vorstellung davon, wie er seinen freien Tag verbringen wollte. Sein Magen hatte sich mittlerweile beruhigt und Marcel fand, dass er ihm einen Espresso und ein Croissant zumuten konnte.
Er setzte sich im Bistro an einen Straßentisch und bestellte bei Marta ein kleines Frühstück. Marta wuselte aufregt um ihn herum, wollte noch mehr Kaffee bringen, noch ein Croissant, ein Baguette vielleicht oder etwas Obst?, fragte ständig nach seinen Wünschen, störte ihn beim Denken und ging ihm gehörig auf die Nerven.
Er betrachtete gedankenverloren das antike Tor mit dem modernen Schloss, das nur Auserwählten den Zugang zu Louises geheimnisvoller Welt ermöglichte und plötzlich wusste er, was der Tag für ihn heute noch bereit hielt.
Marcel bezahlte eilig sein Frühstück bei Marta, die ihre Erleichterung, dass er endlich wieder ging, kaum verbergen konnte, setzte sich in seinen Dienstwagen und ließ sein Navigationssystem die Route nach Anchieu berechnen.
Louise
Die rüstige Witwe erwartete Louise schon ungeduldig am Rande der Zufahrt des Marktplatzes von Anchieu, umarmte sie herzlich, erzählte dabei gleichzeitig aufgeregt von den Ereignissen der Woche und wie viele Gefäße sie verkaufen konnte, half Louise beim Entladen und Auspacken der neuen Stücke und vertrieb mit ihrem geschäftigen Treiben die düsteren Gedanken aus Louises Kopf.
Langsam entspannte sich Louise und empfand wieder die heitere Gelassenheit, die diese Markttage für sie so kostbar machten.
Sie entnahm dem Lieferwagen eine längliche Holzkiste, in der der Tonkrug sicher mit Schaumstoff umwickelt verpackt war. Die Witwe klatschte begeistert in die Hände.
„Sehr fein, Louise! Endlich wieder Nachschub! Den letzten Dünger hat der Regen schon fast ganz ausgewaschen!“
Louise lächelte.
Die beiden Frauen machten sich ans Werk. Sie stellten Krüge, Schalen und Gefäße auf,
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