41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
dem Revier, sondern hier in ungezwungener Umgebung. Deshalb bin ich hier.“
„Zur Abwechslung einmal ehrlich heute?“ Louise feixte, um ihre Augen bildeten sich feine Fältchen und mit einem liebenswürdigen Lächeln fügte sie hinzu:
„Kommen Sie, setzen Sie sich hier auf einen Stuhl und übernehmen Sie den Stand, falls Kunden auftauchen. Ich rufe vom Café aus schnell meine Witwe an, damit sie mich ablöst. Dann stehe ich Ihnen zur Verfügung und wir machen es uns drüben in Emiles Kneipe gemütlich. Da sind nicht viele Gäste und wir können bei ausgezeichneten Muscheln und einem Glas Weißwein in aller Ruhe Ihre Theorien besprechen.“
Nun war Marcel doch überrascht. Mit einem solch großzügigen, widerspruchslosen Entgegenkommen hatte er wiederum nicht gerechnet. Doch man musste abwarten, ob Louise auch wirklich etwas von sich preisgeben würde oder ihn nur mit leeren Phrasen oder spannenden, dafür aber frei erfundenen Märchen abfertigen würde.
Er beobachtete, wie sie unbeschwert, beinahe fröhlich in Richtung des Cafés spazierte, keinesfalls wie eine ältere Frau mit schmerzvollen Rückenbeschwerden, sondern vielmehr wie ein junges Mädchen in Erwartung einer interessanten Verabredung. Ihn beschlich das unangenehme Gefühl, dass sie es ihm nicht leicht machen würde.
Während Marcel gedanklich an einer undurchschaubaren und taktisch klugen Verhörtechnik feilte, benutzte Louise Telefon und Toilettenanlage des Cafés, fühlte sich erleichtert, dass sich sowohl die Witwe als auch das Zeug aus ihren Hemdtaschen unverzüglich auf den Weg gemacht hatten und kehrte entspannt und sorglos zu ihrem Stand zurück.
Ein Interessent hatte sich eingefunden und sie sah amüsiert, wie Marcel verlegen und umständlich zu erklären versuchte, was es mit den indianischen Bemalungen ihrer Tonstücke auf sich hatte. Sie blieb stehen und wartete, bis der Kunde einen kleinen Anhänger gekauft hatte und Marcel mit einem Geldschein in der Hand sich hilflos nach ihr suchend umblickte.
Sie winkte, lachte und warf ihm einen schelmischen Blick zu.
„Na, Monsieur Inspecteur, Ihr erstes Geschäft dieser Art? Was haben Sie ihm denn erzählt? Ich hoffe doch, keine Lügenmärchen.“
Marcel lächelte unsicher.
„Naja, ich sagte ihm, der Anhänger wäre ein Glücksbringer mit Zeichen des Navajo-Stammes und würde ihm helfen, gesund zu bleiben. Das stimmt doch sicher irgendwie, oder?“
„Nur, wenn er auch fest daran glaubt.“ Louise kicherte.
Sie erklärte ihm einige Grundbegriffe des Töpferns und Brennens und beschrieb ihm einfache indianische Zeichen (die komplizierten kannte sie selbst nicht). Er hörte aufmerksam zu, nickte, wenn er verstanden hatte und runzelte die Stirn, wenn ihm etwas unklar war. Ein kleiner Junge, der erstaunt dabei war zu begreifen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, von denen er noch nie gehört hatte.
„Das kann ja heiter werden, unser Verhör in ungezwungener Umgebung!“, dachte Louise amüsiert.
Als die Witwe kurz darauf eintraf, schlenderten sie gemeinsam zu Emile, wählten einen wuchtigen Tisch im hinteren Teil der Gastwirtschaft und Louise bestellte für sie beide Aperitif, das Tagesmenü mit gratinierten Muscheln, Weißwein, eine Karaffe Wasser, Kaffee, Dessert sowie ein Gläschen Pastis zum Abschluss. Sie bat Emile, sie nicht unnötig zu stören und auch keine bekannten Gäste an ihren Tisch zu setzen, sie hätte eine geschäftliche Besprechung. Emile versicherte ihr wortreich sein Bemühen, so unauffällig wie möglich die einzelnen Gänge zu servieren, am besten nach Handzeichen von ihr, und niemanden in ihre Nähe zu lassen.
„Nun, trinken wir auf gute Zusammenarbeit!“ Sie hob ihr Aperitifglas und streckte es Marcel entgegen.
Er schmunzelte und prostete ihr zu.
„Was genau bereitet Ihnen nun Kopfzerbrechen, mein Lieber?“
„Ich denke, Sie haben alle achtzehn Männer gekannt, wissen über ihr Verschwinden Bescheid. Vielleicht sind Sie sogar dafür verantwortlich. Da Ihre Freunde einflussreich, verheiratet und politisch aktiv sind, ist es mir nur schwer möglich, die ansonsten in einem solchen Fall üblichen Untersuchungen anzustellen, mit denen ich meinen Verdacht beweisen kann. Hausdurchsuchung, Fingerabdrücke, Alibis, DNA, … Sie kennen das ja vermutlich aus dem Fernsehen.“
Marcel blickte Louise offen ins Gesicht, konnte aber während seiner kurzen Ansprache keinerlei Veränderungen in ihrem Ausdruck oder ihrer Gestik erkennen. Ihre Hände begannen nicht
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